Grenzüberschreitung über alle Flamenco-Klischees hinweg
Wenn die Kenner andalusischer Tänze und Musik ins Schwärmen geraten, einander über die Virtuosität, die Emotion, auch die harmonische Vielfalt dieses Genres austauschen, fallen rasch zwei Namen. Paco de Lucia. Und Tomatito.
Nach dem Auftritt des Ersteren vor wenigen Wochen ließ sich am Mittwoch (30. Jänner) auch der zweite große Gitarrist des Neo-Flamenco im Wiener Konzerthaus feiern. Und Tomatito bot im Vergleich sogar das vielschichtigere, das spannendere Konzert.
Ja, "Tomatito" heißt wirklich kleine Tomate, für die Menschen im Osten Österreichs also: kleiner Paradeiser. Die fruchtige Namensgebung liegt in der Familie: Vater und Großvater von Tomatito (eigentlich: José Fernàndez Torres), ebenfalls Flamenco-Gitarristen, nannten sich Tomate. Bereits mit 14 ging Tomatito auf Welttournee, mit der Flamenco-Legende Camarón de la Isla. Aus dem Wunderkind ist längst selbst ein Star geworden, der jetzt mit seinem Sextett auf Tournee ist.
Mehrfach
Flamenco ist immer durchwirkt von Klischee, und ja, es gab sie, die emotional aufgewühlte Tänzerin (viel umjubelt: Paloma Fantova), die leidenden Gesangslinien (toll: Simón Román und Kiki Cortinas), die übergroße Emotion.
Das gehört dazu, das ist gut so, das lockert auch, nach und nach, den nicht unbedingt angenehmen Konflikt zwischen Gefühlswallung auf der Bühne und dem gemütlichen Konzertsitzen davor auf.
Aber Tomatito strickt mit seinen rasenden Tönen auch (und das ist es, was seinen Zugang so spannend macht) neue Ebenen unter und über das Klischee. Wie selbstverständlich baut er, gemeinsam mit seinem Percussionisten Lucky Losada, ausführliche Ausflüge in die freie Form des Improvisierens ein, wandert dort die Grenzen zu Jazz, Bossa Nova, Blues ab.
Und mit begeisternder Lockerheit schichtet er auf die melodiöse Seite des Solierens noch eine rhythmische Grundierung, die für sich genommen schon ein eigenes Konzert wäre, eine ununterbrochene Abfolge an Finessen und Miniaturen, die anhaltend fasziniert. Auch und vor allem in den eher Flamenco-untypischen Balladen, die Tomatito – vorwiegend im Duett mit seinem Zweitgitarristen El Cristi – einstreute. Am Schluss: gebührender Jubel.
KURIER-Wertung: ***** von *****
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