Vor einem halben Jahrhundert brodelte die Bronx in New York. Nicht nur verbrechensmäßig, nicht nur, weil die Schwarze Bevölkerung im rassistischen Amerika zunehmend auf ihre Rechte pochte. Sondern auch kulturell.
In den Straßen des nördlichen Viertels entstand die zweifellos wichtigste Popkulturform der Gegenwart: DJs legten bei Partys vor den Häuserblocks auf, junge Männer begannen, lange bevor sie sich MCs nannten, dazu zu reimen. Über die Härten des Lebens, über Respekt und Reichtum. Die Partys waren Momente, um den Armutsalltag zu überwinden, und auch Orte, an denen es nicht um Verbrechen und Drogen ging.
Aus ihnen heraus entstand die Hip-Hop-Kultur, die später weite Teile der Welt prägen sollte. Und obwohl die Geburt dieser Kultur eine Gruppenleistung war, bei der es jedenfalls anfangs keine Stars gab, haben einige wenige Pioniere an entscheidenden Momenten dem Hip-Hop ihren Stempel aufgedrückt.
Einer davon ist am Dienstag (5. Dezember 2023) in Wien. Grandmaster Flash hat eine der vier Säulen der Hip-Hop-Kultur aufgestellt: Er entwickelte und professionalisierte jene Art von DJing, das nicht nur Platten abspielte, sondern mithilfe der Musik anderer neue Musik zu erschaffen begann.
Auf Platte
Diese Remix-Kultur war später eines der hervorstechendsten Merkmale überhaupt – und stand an der Geburtsstunde des kommerziellen Erfolgs von Hip-Hop. Afrika Bambaataa etwa sollte 1982 auf „Planet Rock“ die Musik der deutschen Elektronikpioniere Kraftwerk mit dem Hip-Hop verschmelzen – und daraus entstand die erste internationale Tournee eines Hip-Hop-Künstlers.
Grandmaster Flash hat hierfür den Weg bereitet. In den 70ern perfektionierte er das Auflegen von Platten, um den Rappern Raum und Beats für ihre Reime zu geben. Er war der Erste, der Beats gebrochen hat: In der Musik auf den Platten suchte er passende Rhythmen oder Drum-Solopassagen heraus – und spielte, mit Hilfe von Wachspapier, Fell und einer zweiten, identischen Platte – diese Rhythmen im Kreis.
Diese Beats legten die Hip-Hopper mit angepasstem Tempo unter andere Songs. Das Resultat ist jener unverkennbare Hip-Hop-Sound, aus dem später Welthits ebenso entstanden wie weitere Arten elektronischer Musik. Und daraus, dass hierfür die Vinyl-Platten kurze Zeit gegen die Drehrichtung bewegt wurden, wurde das Scratching, das vor allem in den 80er-Jahren zum unverkennbaren Zeichen des kommerziellen Hip-Hop wurde. Damit – er nannte seine Entwicklung die „Quick Mix Theory“ – prägte der am 1. Jänner 1958 als Sohn von Einwanderern aus Barbados geborene Joseph Robert Saddler eine der vier Säulen des Hip-Hop ganz entscheidend (die weiteren Säulen sind Rappen, Breakdance und Graffiti). Er ist lebende Legende des Genres.
Und das, obwohl er auf den Alben von Grandmaster Flash and the Furious Five so gut wie gar nicht vorkam. Sein Beitrag war essenziell für die Live-Performances, aber anfangs schwer in Aufnahmen zu verpacken. Trotzdem: Das Album „The Message“ (1982) war eines der wichtigsten, um die Botschaft des Hip-Hop in die Welt zu tragen (und erntete Platin). Die gleichnamige Single mit dem Refrain „It’s like a jungle sometimes…“ über die Zustände der kaputten, hochkriminellen Stadtteile ist eine der meistzitierten der frühen Rapgeschichte.
Namensgeber
Auch in anderer Hinsicht war die Crew um Grandmaster Flash prägend: Dem Rapper der Furious Five, Keef Cowboy, wird die Erfindung des Namens „Hip-Hop“ zugeschrieben (er veräppelte der Legende nach einen Freund, der sich für die Armee verpflichtet hatte und dort im Gleichschritt – Hip, Hop. Hip, Hop – gehen musste).
Der Rest ist, wie es so schön heißt, Geschichte. Hip-Hop wurde ab den 1980ern zur prägenden Kulturform unserer Zeit, die so gut wie alle anderen Popmusik-Spielarten zu durchdringen begann. Und wie das auch so ist, nützte das den Pionieren wie Grandmaster Flash selbst eher wenig: Die kommerzielle Ernte fuhren andere ein. Grandmaster Flash gewann Grammys und ist Ehrendoktor. Er war 2007 mit den Furious Five der erste Hip-Hopper, der in die Rock and Roll Hall of Fame aufgenommen wurde und den renommierten Polar-Preis gewonnen hat. Zuletzt trat er in der US-Version von „Masked Singer“ als Eisbär auf. Am Dienstagabend ist er im Flex in Wien live zu erleben.
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