Grammys: Vorgestriger kann eine Auszeichnung nicht vergeben werden
Der Sieger in der Kategorie „Beste Rock-Performance“ ist seit eineinhalb Jahren tot; sein schärfster Konkurrent seit Mai 2017.
Ja, Leonard Cohen war ein ausgezeichneter, ein legendärer Musiker (genauso wie der ebenfalls nominierte Chris Cornell). Aber die Auszeichnung für einen bereits im Vorvorjahr Gestorbenen in einer derart prominenten Kategorie sagt mehr über die Grammys aus, als denen lieb sein kann.
Die Musikpreise sind die gewichtigsten der Welt. In der Nacht auf Montag nun haben sie selbst dafür gesorgt, dass diese Relevanz einen ordentlichen Dämpfer bekommen hat.
Denn vorgestriger kann eine Auszeichnung eigentlich nicht vergeben werden: Man ließ den zuvor viel nominierten Hip-Hop, die inzwischen auch kommerziell wichtigste Populärmusik, in keine der allgemeinen Kategorien vordringen. Kendrick Lamar erhielt zwar alle Preise der Hip-Hop-Kategorien, aber sonst keinen außer den inzwischen irrelvanten Musikvideo-Preis. Jay Z, inzwischen US-amerikanischer Doyen des Hip-Hop, ging nach acht Nominierungen gänzlich leer aus.
Wie um das nur ja zu erreichen, wurde ein aalglattes Entertainer-Album zum wichtigsten des Vorjahres hochstilisiert: Bruno Mars erhielt für „24K Magic“ gleich sechs Auszeichnungen.
Und selbst für den Fan kann der 3-D-Katalog von Kraftwerk, eine Sammlung mehrerer Jahrzehnte alter Alben der einstigen Pioniere, nach keinem einleuchtenden Kriterium die wichtigste Veröffentlich im Electronic-Bereich sein.
Männer vor!
Prominente Auszeichungen an Frauen muss man mit der Lupe suchen: In der Kategorie „Beste Pop-Performance“ waren vier Frauen und ein Mann nominiert. Wer will raten, wer gewonnen hat?
Und gesellschaftliche Relevanz wurde abgewählt, obwohl ja derzeit eine große Debatte schwelt, die man hätte würdigen können. „#Time's Up!’, nuschelte Lady Gaga in den Übergang zwischen zwei Liedern“, konstatierte die dpa trocken. Weiße Rosen am Kleid und eine Performance von Kesha, und schon war das gerade für das Musikbusiness potenziell schmerzhafte Thema abgehakt. Gegen Trump hingegen ist man sich einig, dagab es eine nette Strecke.
Es geht den Grammys wie vielen anderen Preisen. Wahlberechtigt ist eine Akademie, mit Vertretern aus dem Musikbusiness. Deren Blick trägt Scheuklappen bis an die Grenze zum Inzestiösen. Und setzt zwanghaft einen Mainstream fort, den es im Streamingzeitalter mittlerweile nicht mehr gibt, sondern der auch vom Formatradio – siehe Ö3 – unter größten Verlusten konstruiert werden muss.
Der R&B- Sänger Bruno Mars hat mit seinem Team bei der Grammyverleihung ordentlich abgeräumt und ist gleich mit sechs der begehrten Trophäen ausgezeichnet worden. Mars gewann mit dem Titel "24K Magic" und dem gleichnamigen Album unter anderem Preise für das beste Album, die beste Aufnahme und das beste Lied des Jahres.
Der siebenfach nominierte Rapper Kendrick Lamar nahm bei der Gala am Sonntag im New Yorker Madison Square Garden fünf Grammys mit nach Hause. Ein Grammy ging auch an einen Österreicher. Der Vorarlberger Manfred Honeck erhielt mit dem Pittsburgh Symphony Orchestra einen der begehrten Preise in der Kategorie "Beste Orchesterperformance". Ausgezeichnet wurde der Musikdirektor des Pittsburgh Symphony Orchestra für die 5. Sinfonie von Dmitri Schostakowitsch sowie das Adagio von Samuel Barber.
Auszeichnung für Kraftwerk
Eine der begehrten Auszeichnungen ging auch an die deutschen Elektro-Veteranen Kraftwerk, die in der Sparte Dance-/Electronic-Album einen Grammy für "3-D The Catalogue" erhielten. Die junge Sängerin und Songwriterin Alessia Cara ist mit dem Grammy für den besten Nachwuchsstar ausgezeichnet worden.
Der achtfach nominierte Rapper Jay-Z, der als einer der Favoriten gegolten hatte, ging leer aus. Mars stach neben Jay-Z unter anderem Childish Gambino mit dessen Titel "Redbone" und den Megahit "Despacito" von Luis Fonsi & Daddy Yankee mit Justin Bieber aus. Kendrick Lamar gewann in den weniger beachteten Kategorien das beste Rap-Album und den besten Rap-Titel. Mit den großen Gewinnen von Mars in den Hauptkategorien stand die Show dieses Jahr weniger im Zeichen des Hip-Hop als erwartet.
Die dreineinhalbstündige, von James Corden moderierte Gala war gefüllt mit hochkarätigen Auftritten: Neben Mars, Lamar und Childish Gambino kamen unter anderem Elton John, Pink und Rihanna auf die Bühne. Die Demokratin Hillary Clinton hatte neben Rapperin Cardi B, John Legend, Cher und Snoop Dogg einen Sketch-Auftritt, in dem sie aus dem Enthüllungsbuch "Fire and Fury" ("Feuer und Zorn") über den Wahlkampf und die Amtszeit von US-Präsident Donald Trump vorlas.
Weiße Rose am Revers
Die sonst in Los Angeles heimische Verleihung fand dieses Jahr erstmals seit 2003 in New York statt. Mehrere Musiker trugen zur Gala eine weiße Rose am Revers oder in der Hand als Zeichen der Solidarität mit der #TimesUp-Bewegung. Darunter waren Rapper Kendrick Lamar, Lady Gaga, Miley Cirus, Khalid, Sam Smith, Janelle Monae sowie Alessia Cara, die bei der Gala am Sonntag als beste neue Künstlerin des Jahres geehrt wurde.
Die weiße Rose galt bei der Verleihung in New York als Pendant zur schwarzen Kleidung, in der Prominente bei der Golden Globe-Gala Anfang Jänner erschienen waren. Die Grammy-Aktion hatte mit einem Aufruf der Gruppe "Voices in Entertainment" von 14 Frauen begonnen, die in führenden Positionen in der Musik- und Unterhaltungsindustrie in den USA arbeiten. Die weiße Rose stehe historisch für "Hoffnung, Frieden, Sympathie und Widerstand", schreiben die Gründerinnen.
Die US-Musikerin und Schauspielerin Janelle Monae forderte bei der Gala ein Ende der männlichen Vorherrschaft in den Musikindustrie. "Die Zeit der ungleichen Bezahlung, der Diskriminierung und Belästigung jeder Art und des Missbrauchs von Macht ist um", sagte Monae auf der Bühne des Madison Square Garden. "Es passiert nicht nur in Hollywood, es passiert nicht nur in Washington. Es passiert auch genau hier in unserer Branche", sagte sie in Richtung "derjenigen, die es wagen, uns zum Schweigen zu bringen".
Mit einer Lesung aus dem Enthüllungsbuch "Fire and Fury" ("Feuer und Zorn") haben Hillary Clinton und Star-Musiker bei den Grammyverleihung gegen US-Präsident Donald Trump ausgeteilt.
Die Demokratin Clinton, die gegen Trump bei den Wahlen im November 2016 verloren hatte, erschien am Sonntag überraschend in einem vorab aufgezeichneten Sketch von Moderator James Corden. Darin las sie eine Passage aus Michael Wolffs Buch, das mit Details aus dem Wahlkampf und Trumps Zeit im Weißen Haus Schlagzeilen machte.
Auch Promis wettern gegen Trump
Auch Rapperin Cardi B, John Legend, Cher und Snoop Dogg lasen einige Sätze aus dem Buch. "Warum lese ich diesen Scheiß überhaupt?", fragt Cardi B, nachdem sie eine Passage zu Trumps angeblich regelmäßigen Cheeseburger-Abendessen im Bett rezitiert hat.
"Ich kann das nicht glauben. Lebt er so wirklich sein Leben?" Snoop Dogg fügte hinzu, ganz sicher nicht bei Trumps Vereidigung vor gut einem Jahr dabei gewesen zu sein.
UN-Botschafterin kritisiert Lesung
Die UN-Botschafterin der USA, Nikki Haley, reagierte prompt auf die verbale Ohrfeige vor einem Millionenpublikum gegen ihren Vorgesetzten und Parteikollegen Trump. "Ich habe die Grammys immer geliebt, aber dass Künstler das "Fire and Fury"-Buch lesen, war das Ende", twitterte Haley wenige Minuten nach dem Sketch. "Ruiniert großartige Musik nicht mit Müll. Manche von uns lieben Musik, ohne dass Politik eingeworfen wird." Auf den Tweet einer Reporterin der "Washington Post", die den Sketch als lohnenswert bezeichnete, antwortete Haley, der Sketch habe die Show "ruiniert".
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