Glavinic: "Ich bin ja nicht nur düster"
Mit "Der Kameramörder" kommt nun die erste Verfilmung eines Romans von Thomas Glavinic in die Kinos (26.3.). Das vor zehn Jahren erschienene Buch hatte ein unvorstellbar grauenerregendes Verbrechen zum Thema: Ein Psychopath hat drei Kinder in seine Gewalt gebracht und bringt sie nacheinander unter Einsatz von fiesesten Psycho-Tricks dazu, sich in den Tod zu stürzen. All das zeichnet er für die Medien mit einer Kamera auf.
In Glavinic' Roman wird dieses Grauen mit einer seltsam protokollarischen Sprache gebrochen. In der Verfilmung kommt die skurril wirkende Erzähltechnik überhaupt nicht zum Einsatz. Regisseur Robert Adrian Pejo konzentriert sich in seiner Verfilmung (Eröffnungsfilm der Diagonale 2010) auf die Inszenierung eines kühlen Psychodramas, das sich zwischen zwei schicken Pärchen abspielt. Die vier Hauptprotagonisten verbringen ein Wochenende in einem Haus am Neusiedlersee, ganz nahe am Ort des Verbrechens. Dies stellt einen weiteren Eingriff in den Roman dar: Dieser spielte auf einem steirischen Bauernhof. Im KURIER.at-Interview spricht Thomas Glavinic über "Der Kameramörder", über weitere geplante Roman-Verfilmungen und erklärt, warum er ganz froh ist, Schriftsteller und nicht Filmemacher zu sein.
KURIER.at: Von der Romanvorlage ist im Film "Der Kameramörder" wenig übrig geblieben. Wie haben Sie die Herangehensweise empfunden?
Diese Verfilmung ist nur eine mögliche Variante der Umsetzung, es hätte viele andere gegeben. Der Roman lebt ganz klar von der speziellen protokollarischen Sprache. Ich finde gerade die Wortwahl dieses Soziopathen im Buch unerträglich, weil ich lachen muss über die unbeholfene Art, wie er die Geschichte erzählt. Wenn man das wegnimmt, bleibt nur eine grauenvolle Geschichte übrig. Und diese wird im Film erzählt.
Der Film zeigt allerdings nicht alle brutalen Details. Finden Sie das wohltuend oder hätte das schärfer werden können?
Das ist Geschmackssache. Man hätte auch weniger machen können. Wenn man das Buch 1:1 umsetzen will, müsste man wohl weiter gehen. Aber das wollte man hier ja bewusst nicht. Man wollte eine andere Geschichte erzählen.
Was haben Sie überhaupt gedacht, als zum ersten Mal jemand Interesse gehabt hat, einen ihrer Romane zu verfilmen?
Ich dachte erfreut an die finanziellen Vorteile! Ich gehe an diese Dinge durchaus pragmatisch heran. Aber ich war auch wahnsinnig gespannt, was dabei herauskommt. Weil ich sowieso keinen Einfluss darauf habe, was damit passiert. Das einzige Buch, bei dem ich bei einer Verfilmung die Hand drauf haben möchte, ist die "Arbeit der Nacht". Dazu habe ich schon einige Angebote zurückgewiesen. Weil ich nicht fand, dass da das Ideale schon dabei war.
Weil Sie die finanziellen Vorteile erwähnt haben... Durch die Verfilmung wird ja auch der Roman "Der Kameramörder" selbst wieder vermehrt auf den Büchertischen landen. Was sagt der Roman, zehn Jahre nachdem er geschrieben worden ist, heute den Leuten?
Also ich glaube, dasselbe wie vor zehn Jahren. Ich habe nicht den Eindruck, dass das, was damals gültig war, heute keine Gültigkeit mehr hat. Ich bin im Gegenteil überzeugt davon, dass es in zehn Jahren auch nicht anders aussehen wird in unserer Medienwelt. Ich glaube nach wie vor, dass die Medienmacher mit einem gewissen Mangel an Sensibilität an entscheidende Dinge herangehen. Zum Beispiel: Das Sterben von Menschen darf niemals gefilmt werden. Man wird's trotzdem immer wieder einmal irgendwo sehen - und wenn's ein Rodler bei Olympia ist.
Das Buch ist mir fast wie ein Vorgriff erschienen auf die Medienhysterie, die nach Bekanntwerden des Falls Fritzl auf das Land eingeprasselt ist.
Ich habe nichts erfunden. Im Grunde habe ich nur der Wirklichkeit diese Geschichte abgelauscht. So etwas wird sich immer wieder ereignen. Bei allen großen Skandalen oder Missbrauchsfällen gibt es ein riesiges mediales Getrommel und allerhand Menschen melden sich zu Wort. Es wird alles beim Alten bleiben. Ich glaube daher nicht, dass sich an der Aktualität des Buches etwas ändern wird.
Außer, dass man die Informationen vielleicht kaum mehr vom Teletext beziehen wird…
Richtig, das ist etwas anachronistisch. Als ich das 2000 geschrieben habe, gab's auf den meisten Bauernhöfen noch kein Internet. Und wenn, dann hat es sehr, sehr langsam funktoniert.
"Auf der Messerspitze tanzen"
Dass die Medienkritik im Film nicht so rüberkommt, würden Sie das als Kritikpunkt sehen?
Ach, das ist mir auch nicht wichtig. Das Einzige, das mir persönlich abgeht, vermutlich wie in jeder Inszenierung, jeder Verfilmung, die sich nicht konsequent an den Text hält, ist der Humor. Der Roman ist aus meiner Sicht durch die Sprache eine extrem lustige Geschichte. Ich habe beim Schreiben die ganze Zeit gelacht. Wenn man diese Sprache weglässt, dann ist es natürlich nicht mehr lustig, sondern schaurig. Doch ich habe die Geschichte nicht schaurig gemeint, sondern so, dass man als Leser die ganze Zeit auf der Messerspitze tanzen muss, dass man hin- und hergerissen ist zwischen dem Horror, der passiert und dieser unfreiwilligen Komik dessen, der sie erzählt.
Meinen Sie Worte wie "Bauchraumsalzen"... ?
Genau! Eines meiner Lieblingsworte im Buch. So etwas ist halt sehr schwer zu übertragen. Wenn man diese Geschichte in ein anderes Medium transferiert, dann geht das nicht mehr, ist das nicht mehr da. Kein Film kann das leisten. Und deswegen wehre ich mich so sehr dagegen zu sagen, dass das ein Kritikpunkt wäre. Alles andere ist ja wunderbar gemacht.
Würden Sie nicht sagen, eine Literaturverfilmung ist dann besonders gelungen, wenn sie den Spirit des Buchs rüberbringt?
Doch, theoretisch schon, nur weiß ich nicht, ob das bei diesem Buch möglich ist. Ich glaube, dass der Geist des Buchs durchaus behalten ist, soweit es eben möglich war. Es war eine schwierige Arbeit und die haben das, finde ich, sehr gut hingekriegt.
Sie sollen bei der Uraufführung in Budapest begeistert gewesen sein?
Ich habe mich gefreut darüber, dass Robert Pejo mit seiner Arbeit Anklang gefunden und diesen Erfolg gehabt hat. Ich hatte den Film ja schon vorher gesehen. Wenn man den in deutscher Sprache kennt, und dann im Kino in Budapest die ungarische Synchronstimme von Andreas Lust hört... das ist sehr sonderbar. Aber so etwas muss man auch einmal gesehen und vor allem gehört haben.
Die Sprache spielt auch eine wichtige Rolle im Roman "Wie man leben soll", der gerade von David Schalko verfilmt wird. Wird diese Ratgebersprache wiederzuerkennen sein?
Das wird schon übernommen. Ich habe das Drehbuch vorher gelesen, anders als beim "Kameramörder". Ich möchte dem David Schalko aber nicht ins Handwerk pfuschen. Jedenfalls wird man da von der Sprache mehr wiedererkennen. Die Sprache vom "Kameramörder" ist ja im Film überhaupt nicht enthalten, nicht einmal in Anklängen. Bei "Wie man leben soll" ist das in der Verfilmung anders. Da erkenne ich die Sprache durchaus wieder.
Das Drehbuch stammt von Thomas Maurer und David Schalko. Waren Sie da in die Arbeit eingebunden?
Nirgendwo. Da wir miteinander befreundet sind, wusste ich, wie weit die beiden gerade mit der Umsetzung sind, ich habe aber in keiner Weise etwas beigetragen und mir auch jeden lästigen Hinweis verkniffen.
Anderer Schauplatz, anderer Mörder
Stichwort "Eingebunden". Sie waren ja auch beim Set von "Der Kameramörder". Wie haben Sie das empfunden?
Seltsam und interessant. Da ich gar niemanden gekannt habe dort am Set, kam ich mir am Anfang natürlich etwas fremd vor. Das waren aber alles extrem sympathische Menschen. Es gab von meiner Seite nur Neugier. Ich wollte aber auch nicht zu nahe ran, wollte vermeiden, dass sich die überwacht fühlen. Ich wollte bloß sehen, wie das aussieht, ganz kurz, und dann bin ich schon wieder weg, damit die in Ruhe arbeiten können.
Also, es ist nicht an den Gelsen gelegen, dass Sie nur einen Tag dort waren?
Nein, daran lag's nicht. Ich wollte nur einmal sehen, was dort geschieht, und fand alles sehr aufschlussreich. Am Set hat man bestimmt anderes zu tun, als den misstrauischen Autor auch noch zu betreuen.
Im Film wurde der Schauplatz an die ungarische Grenze verlegt …
Das ist mir nicht wichtig, ich wollte ja kein steirisches Volksmärchen schreiben. Ich habe die Handlung in der Steiermark angesiedelt, weil ich die Geschichte dort geträumt habe, weil es für mich in meiner Stimmung dort hin gepasst hat. Aber es ist für mich nicht emotional wichtig, wo die Geschichte spielt.
Es sind sogar Personen im Film vertauscht worden. Was haben Sie davon gehalten?
Ich fragte mich, was die wohl da noch an Änderungen fabrizieren werden. Aber wichtig ist für mich ja nur, ob es am Schluss funktioniert. Da man den Roman sowieso nicht 1:1 verfilmen kann, war für mich klar, dass ich mich von dem Buch verabschieden kann, so wie es auf dem Papier steht. Weil es vermutlich unverfilmbar ist.
Gibt es ein Buch von Ihnen, das Sie für noch "unverfilmbarer" halten als "Der Kameramörder"?
Nein, wahrscheinlich nicht. "Die Arbeit der Nacht" ist schon sehr schwierig, weil's darin ja auf der ganzen Welt nur einen Menschen gibt. Das heißt, es ist wahrscheinlich recht teuer, durch die Computernachbearbeitung, aber ich glaube, dass es nicht so unverfilmbar ist wie "Der Kameramörder", weil das nun mal ein Buch ist, dass so sehr von der Sprache lebt. "Die Arbeit der Nacht" ist auch das Einzige, das ich bisher nicht verkauft habe oder zu verkaufen im Begriff bin. Und ich glaube, das wird noch länger so bleiben.
"Das bin doch ich" - ist der Roman ohne Sie als Darsteller überhaupt verfilmbar? (Glavinic betreibt darin ein Spiel mit seiner eigenen Identität, Anm.)
Ehrlich gesagt, ich denke momentan gerade darüber nach, weil ich da gerade in Verhandlungen bin. Ich werde jedenfalls darauf dringen, dass es einen sehr freundlichen, wunderschönen, charismatischen Hauptdarsteller gibt - und nicht einen wie mich (lacht).
"Kümmere mich schon um den übernächsten Roman"
Man hat fast den Eindruck, dass gerade eine Lawine an Glavinic-Verfilmungen am Anrollen ist.
Ich glaube, das täuscht. "Der Kameramörder" ist vor 5 Jahren optioniert worden, "Wie man leben soll" vor mehr als 5 Jahren. Zufall, dass die beiden Filme jetzt gerade erscheinen beziehungsweise realisiert werden. Alles andere ist Zukunftsmusik, schauen wir mal, was daraus wird.
"Das Leben der Wünsche" soll ja auch verfilmt werden...?
Ja genau, das hat sich der David Schalko schon ein Jahr vor dem Erscheinen gesichert. Worüber ich mich sehr freue, weil ich glaube, dass er das wunderbar verfilmen kann. Er hat mir damals, nachdem er das Buch noch im Manuskript gelesen hat, gesagt, wie er es verfilmen möchte, und ich sagte, perfekt. Ich vertraue ihm da vollkommen und wünsche mir sehr, dass dieser Film Realität wird, ich glaube, das würde wirklich eine tolle Sache werden.
Man hat gehört, 2011 könnte es soweit sein…
Ja, angeblich. Aber nachdem keiner Geld hat… Diese Dinge sind immer so mühselig. Das Schöne beim Romanschreiben ist: Ich schreibe ihn fertig, schicke ihn meinem Verlag und er wird gedruckt und fertig. Wenn irgendjemand eine Idee für einen Film hat, dann kann er sich auf den Kopf stellen und noch so eine tolle Vorarbeit abliefern, wenn's kein Geld dafür gibt oder jemand aus welchen Gründen auch immer den Daumen nach unten dreht, wird es den Film nicht geben. Und das ist das, was mich an dieser Branche verrückt machen würde.
Hauptdarsteller Andreas Lust hat im Interview zu diesem Thema gesagt: Im Roman kann man ja schnell einmal ein ganzes Dorf zusammenlaufen lassen und eine Hubschrauberstaffel aufsteigen lassen, aber im Film sei das halt ein bisschen schwieriger...
Da hat er natürlich vollkommen recht. Man kann im Roman auch die gesamte Menschheit verschwinden lassen. Nur einmal Fingerschnippen - und alle sind weg. Aber die, die das verfilmen sollen, haben damit ein größeres Problem.
Verleiht einem das auch ein Gefühl der Macht, dass man alles selbst in der Hand hat?
Nein, ich denke ja nicht an einen möglichen Film, wenn ich ein Buch schreibe. Ich denke zwar eher filmisch beim Schreiben, aber nicht daran, was noch daraus werden könnte.
Was haben Sie selber geplant. Einen neuen Roman?
Ich habe ihn im Wesentlichen fertig, ich muss ihn noch überarbeiten, aber er erscheint im nächsten Januar. Ich lasse den Text abliegen, überarbeite ihn nach ein paar Monaten, und dann verabschiede ich mich von ihm. Ich werde mich also in der Zwischenzeit eher um den Übernächsten kümmern.
Wollen Sie inhaltlich schon was verraten?
Es wird eher lustig, sagen wir einmal so...
Vielleicht ein bisschen mehr zurück zu den Wurzeln?
So würde ich es nicht ausdrücken. Ich glaube, ich brauche das, dass ich ab und zu was Lustigeres einschiebe, weil ich mich sonst in der Düsternis, die manche meiner Bücher durchdringt, selbst verlieren könnte. Deswegen ist es ganz gut, wenn ich zwischendurch auch einmal der anderen Seite, die mich auch ausmacht, Raum gebe. Ich bin ja nicht nur düster. Ich bin ja im Grunde ein Mensch, dem der Humor zentrale Lebensstabilität gibt.
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