Gianna Nannini: Beispiel für gelebte Freiheit

Gianna Nannini besingt auf der neuen CD "Amore Gigante"
Die Rockröhre spricht über die Dummheiten der Liebenden und der Politiker.

"Da hatten wir den Ersten Weltkrieg, dann den Zweiten Weltkrieg. Wir haben gesehen, was das bewirkt. Aber es ist zu lange her. Deshalb schicken die dummen Politiker immer noch die jungen Menschen in den Krieg – um für nichts zu sterben."

Gianna Nannini sitzt backstage im Apollo Club in Mailand. Den ganzen Tag hat sie Interviews gegeben. Kurz vor dem KURIER-Gespräch bemerkte sie noch, dass sie so müde sei, "dass ich nicht einmal mehr die Titel meiner Songs weiß". Doch jetzt ist es wieder da, das Temperament, das Feuer und die Leidenschaft, die man von der rebellischen Rockröhre gewöhnt ist. "Es tut mir leid, wenn ich dabei laut werde, sagt sie. "Aber das ist ein Thema, das mich aufregt: Alles was wir tun, ist kämpfen und streiten!"

Unweigerlich haben die Fragen zum Titel ihres neuen Albums "Amore Gigante", das sie hier im Apollo vorstellt, zu den Themen Politik und Krieg geführt. Ausgangspunkt für den Titelsong "Amore Gigante" war eine E-Mail von ihrer Freundin, der Autorin Isabella Santacroce: "Sie unterschrieb mit ,amore ciao, amore gigante‘!"

Liebe als Rettung

Obwohl die meisten Songs von Trennung handeln, war das auch als Albumtitel passend: "In der normalen Liebe passiert viel Dummes. Sie kann blind machen, respektlos sein, schnell in Hass umschlagen. All das beschreibe ich zuerst. Amore Gigante ist die Liebe, die dann zum Schluss kommt und uns rettet. Eine Liebe, die frei von Vorurteilen ist und keine Grenzen kennt – weder in der Hautfarbe noch im Geschlecht."

Immer schon bekannte sich Nannini offen zu ihrer Bisexualität: "Wenn ich mich verliebe, macht mein Herz keinen Unterschied zwischen Mann und Frau", erklärte die 63-Jährige 2011 der Zeitung Die Welt. Drei Jahre davor war sie nämlich auf natürlichem Wege schwanger geworden. Den Namen des Vaters von Tochter Penelope hält sie aber geheim.

Die rebellische Ader hat Nannini von ihrer Herkunft. In Siena geboren, sollte sie den elterlichen Bäckereibetrieb übernehmen. Doch die "Engstirnigkeit in diesem Kaff" war nichts für sie.

"Meine Eltern waren wie alle Italiener religiös", erzählt sie. "Wir sind in die Kirche gegangen, aber sie waren nicht bigott. Es wäre ihnen nur lieber gewesen, wenn ich zuhause geblieben wäre, weil mein Vater dachte, Rockstar zu werden, sei gefährlich. Ich habe aber schon mit 14 gemerkt, dass ich aus Siena ausbrechen muss. Denn damals habe ich begonnen, mich anders und unkonventionell anzuziehen. Dafür wurde ich dauernd verlacht. Seit damals hasse ich Regeln und werde wütend, wenn jemand – und speziell Frauen – eingeschränkt werden."

In all ihren Songs spielt deshalb Freiheit eine große Rolle – sei es die Freiheit von Vorurteilen, Familienzwängen oder kulturellen Konventionen. Früher ließ Nannini Ideen aus ihrem Philosophie-Studium in die Songs einfließen, um sie politischer zu gestalten. Das macht sie heute nicht mehr: "Politik ist langweilig – weil wir eben immer nur kämpfen und streiten."

Friedensmission

Mitte der Nuller-Jahre änderte Nannini diesbezüglich ihre Meinung, nachdem sie auf Friedensmission in den Irak gefahren war: "Meine verdammte Regierung hatte entschieden, bei diesem dummen Krieg mitzumachen. Ich dachte, ich kann etwas ändern – natürlich eine Illusion. Aber ich wollte den Leuten die Augen dafür öffnen, welche Lügen ihnen bei den Gründen für den Krieg aufgetischt wurden. So ist mein Leben schon politisch. Aber als Musiker kannst du nichts ändern!"

Hat es auch nichts geändert, als Nannini 1979 auf dem Cover zum Album "California" der Freiheitsstatue statt der Fackel einen Vibrator in die Hand drückte, um gegen das damalige italienische Frauenbild ("Sie sollten in die Kirche gehen, arbeiten und sonst kuschen") zu protestieren?

Nannini wird wieder laut, diesmal vor Lachen: "Danach haben alle masturbiert und ich habe ihnen gezeigt, wie es geht! Aber im Ernst: Es hat sicher eine Diskussion ausgelöst, ich weiß aber nicht, ob das etwas geändert hat. Manchmal denke ich ja, manchmal nein. Denn ich werde immer noch permanent dafür angegriffen, wie ich bin. Als ich mit 54 schwanger wurde, haben sie mich in Italien sehr hart attackiert. Aber das stört mich nicht, das halte ich aus. Ein Beispiel für gelebte Freiheit zu sein, ist mir wichtiger."

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