Symbol des Friedens: Ein Kuss schreibt Geschichte

Symbol des Friedens: Ein Kuss schreibt Geschichte
Eine Erinnerung im Kaffeehaus an die Frau auf dem Jahrhundertfoto, die aus Wr. Neustadt kam.

Der Krieg ist aus. Radio- und Fernsehsender unterbrechen ihre Programme, die Menschen stürmen auf die Straßen und fallen einander in die Arme. Da sieht ein US-Marinesoldat am New Yorker Times Square eine ihm unbekannte junge Frau im weißen Arbeitskittel, er läuft zu ihr hin, umarmt und küsst sie. Ein Fotograf, der zufällig vorbeikommt, drückt ab. Und schießt das Bild seines Lebens. „The Kiss“ zählt zu den berühmtesten Fotos des 20. Jahrhunderts und wurde zum Symbol für den ersehnten Frieden. Fast 70 Jahre später stellte sich heraus, dass die junge Frau auf dem Bild eine gebürtige Österreicherin aus Wiener Neustadt war. Jetzt wurde ihr in ihrer Heimatstadt ein kleines Denkmal gesetzt.

Feiern im ganzen Land

Greta Zimmer war eine von vier Schwestern, deren Eltern in Wr. Neustadt ein Herrenmodegeschäft besaßen. 1939 flüchtete die 15-jährige Jüdin in die USA und fand in New York Arbeit als Zahnarzthelferin. Als am 14. August 1945 gemeldet wurde, dass nach Deutschland nun auch Japan kapituliert hatte und damit der Zweite Weltkrieg beendet war, durfte Greta die Ordination in der Lexington Avenue früher verlassen, um an den Feierlichkeiten, die im ganzen Land spontan ausbrachen, teilnehmen zu können.

Der 15-Sekunden-Kuss

Am nahen Times Square trifft sie auf den 22-jährigen Seemann George Mendonsa, der auf Fronturlaub ist und eben mit seiner Freundin aus einer Kinovorstellung in der Radio City Music Hall kommt. Von der Friedensmeldung überrascht, drückt er Greta Zimmer, die noch ihren weißen Ordinationskittel trägt, einen Kuss auf den Mund, der 15 Sekunden dauert. Weder George noch Greta bemerken, dass sie dabei fotografiert werden.

„Ich war davor auf einem Flugzeugträger bei Okinawa stationiert“, erklärte der Matrose später, wie es zu dem Kuss kam. „Bei einem japanischen Angriff sind über 300 meiner Kameraden verbrannt. Fast ebenso viele wurden schwer verletzt und von aufopfernden Krankenschwestern betreut“. An sie dachte er, als er Greta Zimmer im Zentrum von Manhattan herzlich küsste.

Jahrzehnte vergingen, der Fotograf Alfred Eisenstaedt war nicht zuletzt durch dieses Bild berühmt geworden, es wurde tausendfach veröffentlicht, hing als Poster in vielen Haushalten, in drei amerikanischen Städten gibt es überlebensgroße Statuen der „Kuss“-Szene. Und heute noch treffen sich an jedem 14. August, dem Jahrestag der Entstehung des Bildes – in den USA „Victory Day“ genannt – am Times Square zahllose Paare, die das Foto in entsprechender Kostümierung nachstellen. Dennoch wusste lange niemand, wer die beiden Protagonisten dieses Bildes eigentlich sind.

Wen zeigt das Foto?

1980 startete das renommierte Life-Magazin, auf dessen Cover der Schnappschuss am 27. August 1945 zum ersten Mal erschienen war, einen Aufruf, dass sich das Paar melden solle. Mit dem Ergebnis, dass drei Frauen und mehr als 20 Männer behaupteten, das Mädchen bzw. der Matrose zu sein. Erst eine 2005 in Auftrag gegebene forensische Untersuchung brachte den Nachweis, dass Greta Zimmer und George Mendonsa die wahren „Küsser“ sind.

Bei der gebürtigen Österreicherin schaffte eine vielfache Vergrößerung des Fotos Klarheit, dass u.a. Haaransatz und Form des linken Ohres mit dem Original übereinstimmten, bei Mendonsa lieferten der rechte Wangenknochen sowie Narben und Tätowierungen an den Unterarmen die Bestätigung. 2012 veröffentlichten die Historiker Lawrence Verria und George Galdorisi das Buch „The Kissing Sailor“, in dem Mendonsa und Greta Zimmer (mittlerweile verheiratete Friedman) erstmals namentlich genannt wurden. „Hätte ich damals gewusst“, sagte George, „dass sie Zahnarztassistentin und keine Krankenschwester ist, hätte ich sie gar nicht geküsst“.

Nicht romantisch

Fest steht, dass der Kuss heute, 73 Jahre später, eine Me-Too-Debatte auslösen würde, zumal das Vorgehen ohne Einverständnis der 21-jährigen Frau erfolgt war. George Mendonsa hat dazu erklärt, den Kuss ohne jeden erotischen Hintergedanken gegeben zu haben, „es stand ja meine spätere Frau neben uns und beobachtete die Szene“. Auch Greta Zimmer hat George nie eine böse Absicht unterstellt. „Da war einfach jemand, der feiern wollte“, sagte sie. „Es war kein romantisches Erlebnis, es war nur ein Statement: Danke, der Krieg ist aus!“

Greta-Zimmer-Zimmer

George Mendonsa lebt heute 95-jährig mit seiner Frau Rita in Rhode Island; Greta Friedman geb. Zimmer starb 2016 im Alter von 92 Jahren in Richmond/Virginia. Doch mittlerweile hat ihre Familie mit der Aufarbeitung der Geschichte begonnen. Diese Woche kam der 19-jährige Ethan Franzblau aus Tampa/Florida nach Wiener Neustadt. Seine Großmutter Josefine Zimmer war Gretas Schwester. Und der Student der Politikwissenschaften war gerade rechtzeitig da, um das eben nach seiner Großtante benannte Extrazimmer im Café Bernhart am Hauptplatz von Wiener Neustadt besuchen zu können.

Der Cafétier Roman Schärf hat das 100 Jahre alte Kaffeehaus heuer im Juni wiedereröffnet. Als er erfuhr, dass Greta Zimmer mit Eltern und ihren Schwestern in der Nähe gewohnt haben, kam ihm die Idee, der vertriebenen Wiener Neustädterin einen Raum zu widmen, den er schlicht „Zimmer“ nannte. Das Greta-Zimmer-Zimmer ist voll von Erinnerungsstücken an die Foto-Ikone, wobei das weltberühmte Bild natürlich im Mittelpunkt steht. Und auf einem großen Bildschirm läuft eine 50-Minuten-Dokumentation des US-History-Channels, die die Geschichte des Fotos erzählt. Roman Schärf ist überzeugt, „dass die Zimmer-Mädeln seinerzeit im Café Bernhart verkehrt und hier Cremeschnitten gegessen haben.“

Familiengeschichte

Der Wiener Neustädter Stadthistoriker Werner Sulzgruber, der die dramatische Geschichte der Familie Zimmer aufgearbeitet hat, stellte den Kontakt zu Ethan Franzblau her. Der Student war zu jung, um mit seiner Großtante über das legendäre Bild zu sprechen, hat aber für seinen Highschool-Abschluss ein Video über die Flucht seiner Angehörigen gestaltet. „Meine Großmutter, Gretas Schwester, hat nicht gerne über ihre Kindheit in Wiener Neustadt gesprochen“, sagt er, „die Erinnerungen waren zu schmerzhaft“. Während die vier „Zimmer-Mädeln“ durch einen Kindertransport nach Amerika gerettet werden konnten, wurden ihre Eltern Opfer des Holocaust.

Die Wirkung des Fotos

Der Fotoreporter Alfred Eisenstaedt, der selbst 1935 aus Deutschland in die USA geflüchtet war und dort für Magazine wie Life, Vogue und Harper’s Bazaar arbeitete, hat die Wirkung seines Fotos so beschrieben: „Die Leute erzählen mir, sie werden sich an dieses Bild noch erinnern, wenn ich längst im Himmel bin.“

Er sollte recht behalten. Eisenstaedt starb am 24. August 1995. Und man erinnert sich immer noch an dieses Bild.

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