Kronprinz Rudolf: Der geheime Nachlass des Kammerdieners
Es ist nicht alltäglich, dass ein Kammerdiener in Pension geht, sich ein großes Landgut kauft und das Leben eines Gutsherrn führt. Der Kammerdiener war allerdings nicht irgendein Dienstbote, sondern der engste Vertraute des Kronprinzen Rudolf und zugleich der Kronzeuge von Mayerling. Die Erben des Kammerdieners Johann Loschek luden mich auf dessen Anwesen ein und präsentierten zum ersten Mal private Erinnerungsstücke, Fotos und Dokumente aus dem Nachlass des Mannes, der die Tragödie von Mayerling aus nächster Nähe miterlebt hat.
Alles aufbewahrt
Rotraut Witetschka bewohnt den „Auer Hof“ in Kleinwolkersdorf bei Wiener Neustadt. Sie und ihr verstorbener Mann haben das Gut des Leibkammerdieners 1987 geerbt und „alles aufbewahrt, das aus dem persönlichen Besitz der Familie Loschek stammt“.
Dadurch können mir die 76-jährige Frau Witetschka und ihre Tochter Eva heute noch zeigen, was der Kronprinz seinem Kammerdiener hinterlassen hat: Die Tischwäsche mit dem eingestickten „R“ für Rudolf samt Kaiserkrone. Eine große Reisetruhe aus Holz, auf der in einem Messingschild „Sr. kais. Hoheit Kronprinz Erzherzog Rudolf“ eingraviert ist. Weiters Originalhandschriften und Fotos von Rudolf. Vor allem aber – und das ist das wirklich Interessante – finden sich hier in feinsäuberlicher Handschrift die Erinnerungen des Kammerdieners Loschek an die Tragödie von Mayerling.
Loschek war die letzte Person, die mit Rudolf und mit Mary Vetsera gesprochen hat, und er war es auch, der am Morgen des 30. Jänner 1889 die Leichen des Paares fand.
Der Kammerdiener wurde nach Rudolfs Tod, obwohl erst 43 Jahre alt, vom kaiserlichen Hof in den Ruhestand versetzt, er erhielt eine Abfindung in Höhe von 2600 Gulden (heute rund 30.000 €) und musste sich verpflichten, mit niemandem über die Vorgänge in Mayerling zu sprechen.
Johann Loschek hielt sich an diese Vereinbarung. Allerdings diktierte er am 19. Jänner 1928 seinem Sohn Johann Loschek jun. seinen „Lebenslauf“, dessen spannendster Teil den Titel „Die richtige Darstellung des Dramas von Mayerling“ trägt. Die achtseitige Handschrift befin det sich nach wie vor auf dem ehemaligen Gut Johann Loscheks in Kleinwolkersdorf und somit im Besitz von Frau Rotraut Witetschka, die mir das Original für diesen Bericht zur Verfügung stellte.
Die Mayerling-Tragödie
„Als einziger noch lebender Zeuge des Dramas von Mayerling“, notierte der damals 83-jährige Loschek, „will ich es nicht in das Grab nehmen, sondern habe es meinem Sohn Johann Loschek diktiert.“ Der Kammerdiener beschreibt die Stunden vor und nach der Tragödie und wie er die Leichen Rudolfs und Mary Vetseras entdeckte.
Der unter Schock stehende Loschek informierte sofort nach Auffinden der beiden Toten telegrafisch den Leibarzt des Kaisers: „Dr. Widerhofer“, notiert Loschek, „war bereits gegen ½ 9 Uhr hier. Ich sperrte alles ab und bettete Rudolf und Vetsera in ihre Betten... Auf dem Nachtkästchen Rudolfs war ein einfacher Zettel an mich adressiert und darauf stand: ,Lieber Loschek, holen Sie einen Geistlichen und lassen Sie uns in einem gemeinsamen Grabe in Heiligenkreuz beisetzen... Ich danke Ihnen für Ihre jederzeit so treuen und aufopfernden Dienste während der vielen Jahre, welche Sie bei mir dienten. Rudolf.’“
Der Zusammenbruch
Erst als Johann Loschek diese Zeilen las, erfasste er das ganze Ausmaß der Ereignisse und brach zusammen: „Ich kniete nieder, meinen Kopf auf Rudolfs Arm legend und weinte bitterlich.“
Teile seiner Erinnerungen hat Loscheks Sohn nach dem Tod des Vaters (für 6000 Schilling, auch dieser Vertrag liegt noch vor) an die Berliner Illustrierte Zeitung verkauft, die die Schilderungen am 24. April 1932 auszugsweise veröffentlichte. Doch kein Journalist vor mir hat den gesamten Nachlass und die ungekürzte Originalhandschrift, die mir Rotraut Witetschka und ihre Tochter Eva Veit-Witetschka nun zur Verfügung stellten, in Händen gehalten.
Rudolf ist der Täter
Die wichtigste Erkenntnis aus der Hinterlassenschaft des Kronzeugen Johann Loschek ist, dass sich das Drama von Mayerling im Wesentlichen so ereignet hat wie es von der seriösen Geschichtsschreibung dargestellt wird. Dass al so Kronprinz Rudolf der Tä ter war und das junge Paar keineswegs von einer dritten Person ermordet wurde, wie es düste re Verschwörungstheorien immer wieder verkünden.
Die Frage liegt nahe, wie es sich ein Kammerdiener im Jahr 1896 – sieben Jahre nach Mayerling – leisten konnte, einen 40 Hektar(= 400.000 ) großen Gutsbesitz mit Bediensteten, einer eigenen Mühle, Schweine-, Hühner- und Pferdestall, Schmiede und großen Ackerflächen zu kaufen. Johann Loschek selbst geht in seinem „Lebenslauf“ auf diese Frage ein: „Es wurde oft behauptet, ich erhielt eine große Summe Schweigegeld u. s. w. Das alles ist frei erfunden wie so Vieles über Kronprinz Rudolf. Rudolf bedachte in seinem Testament alle seine An gestellten. Auf diese Weise bekam ich 2600 Gulden nebst Gewehren, Kleidern etc. Es ist eine Fabel, wenn behauptet wird, ich war nun ein reicher Mann geworden. Das kleine Kapital hatte ich mir ehrlich und redlich er spart. Auf den vielen Reisen konnte ich mir ja die Diäten ganz auf die Seite legen.“
Rotraut Witetschka, die heutige Besitzerin des Gutes, glaubt, dass diese Darstellung der Wahrheit entspricht. „Herr Loschek war ein Ehrenmann, er hat so lange er lebte, geschwiegen, ohne dass man ihm dafür bezahlen musste.“
Schweigegeld-Gerüchte
Dennoch wollten die Gerüchte nie verstummen, Loschek hätte für die Geheimhaltung der Geschehnisse von Mayerling von Mitgliedern des Kaiserhauses „Schweigegeld“ erhalten. Es gibt auch keine Erklärung dafür, wie er das große Gut in Kleinwolkersdorf hätte finanzieren sollen, das ein Vielfaches dessen ge kostet hat als er in elf Dienstjahren beim Kronprinzen und mit seiner offiziellen Abfertigung verdienen konnte.
Nach dem Tod des Kammerdieners im Jahr 1932 bewirtschaftete dessen Sohn Johann Loschek jun. mit seiner Frau Margarete den Besitz in der Nähe von Wiener Neustadt. Das Ehepaar hatte einen Sohn, Johann Loschek III., der als Soldat in den letzten Tagen des Zweiten Weltkriegs fiel, wodurch es keinen leiblichen Erben gab. „Mein Mann und der Enkel des Kammerdieners waren seit ihrer Kindheit eng befreundet, sodass seine Eltern nach Johanns Tod meinen Mann und mich – ohne dass wir da von wussten – als Erben einsetzten.“
In Ehren halten
Eduard und Rotraut Witetschka nahmen das Erbe an, mussten aber Teile des Guts verkaufen, um die alten Gebäude von Grund auf sanieren und die damals sehr hohe Erbschaftssteuer bezahlen zu können.
Frau Witetschka hat es sich auch nach dem Tod ihres Mannes zur Aufgabe gemacht, den Nachlass des Kronzeugen von Mayerling aufzubewahren und in Ehren zu halten.
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