Die Lebensrettung
So erinnert sich Franz Leichter, der damals sieben Jahr alt war, an eine nichtjüdische Freundin seiner Mutter namens Irma Turnsek, die ihm vermutlich das Leben rettete: „Sie hatte einen Sohn Helmut, der genauso alt war wie ich und mit dem ich befreundet war. Irma nahm, als Hitler einmarschierte, Helmuts Papiere, gab mich als ihren Sohn aus und brachte mich quer durch Deutschland über die Grenze. Sie sagte zu mir: ,Du darfst im Zugabteil nie Irma zu mir sagen, du musst Mutti sagen’. Das fiel mir sehr schwer, ich sagte immer Irmi, das war lebensgefährlich.“
Irma Turnsek nahm für ihre Menschlichkeit ein schweres Los auf sich: „Sie konnte nicht mehr zurück nach Wien, weil die Gestapo erfahren hatte, wie sie mir geholfen hat. So blieb sie in England und musste ihren eigenen Sohn sieben Jahre, bis Kriegsende, allein in Wien lassen.“
Tod im KZ
Franz Leichters Mutter war die weit über Österreichs Grenzen hinaus bekannte Sozialwissenschafterin Käthe Leichter, die das Frauenreferat der Wiener Arbeiterkammer gegründet hatte. Sie und ihr Mann, der Schriftsteller Otto Leichter, wurden von den Nazis sowohl als Juden als auch als Sozialisten verfolgt. Doch während Otto und seinen beiden Söhnen die Flucht gelang, „wurde meine Mutter von einer befreundeten Familie an die Gestapo verraten und festgenommen.“
Käthe Leichter wurde ins KZ Ravensbrück deportiert und dort 1942 ermordet. „Ich habe nicht mehr sehr viele Erinnerungen an die Jahre, in denen ich in Wien lebte, aber das Bild, als meine Mutter unsere Wohnung in Mauer verließ und mich noch einmal ansah, habe ich immer vor mir. Ich habe sie danach nie wieder gesehen.“ Die Republik Österreich verleiht seit 1991 jedes Jahr den „Käthe-Leichter-Preis“ als Staatspreis für Frauenforschung.
Franz Leichter gelangte mit Vater und Bruder von Frankreich über Spanien und Portugal „mit dem Schiff, auf dem auch Franz Werfel und Alma Mahler fuhren“ in die USA. Er promovierte an der Harvard Universität und wurde Rechtsanwalt. „Aber ich habe die Politik in den Genen, mein Vater hat ständig politisiert, und so schloss ich mich der Demokratischen Partei an.“
Franz Leichter war mehr als 30 Jahre politisch tätig, zunächst als Abgeordneter und von 1975 bis 1998 als Senator des Staates New York, als der er maßgeblich am Entstehen wegweisender Gesetze beteiligt war: So schuf er eine Art Mieterschutz, um die explodierenden Mieten in New York einzudämmen, er ist für einen liberalen Abtreibungsparagrafen verantwortlich, setzte durch, dass Schecks von Banken unverzüglich gutgeschrieben werden müssen, anstatt die Zinsen tagelang einzubehalten. Franz Leichter reformierte – sehr aktuell in Österreich – das Wahlkampffinanzierungsgesetz. Er entwarf ein Gesetz zur Gleichberechtigung für Lesben und Schwule, schuf Parks in New York und führte last but not least einen Erlass ein, der New Yorker Hundebesitzer verpflichtet, die Abfälle ihrer Vierbeiner zu beseitigen.
Ganz hat Franz Leichter sein politisches Engagement auch im hohen Alter nicht aufgegeben. Nachdem er sich einst in Wahlkampagnen für Jimmy Carter, Bill Clinton und Barack Obama einsetzte, geht es ihm heute darum, die Wiederwahl Donald Trumps zu verhindern. „Der Mann ist eine Gefahr für die ganze Welt, und es wäre schrecklich, wenn er noch einmal Präsident würde. Es wird für die Demokraten nicht leicht, zu gewinnen, aber es gibt eine Chance.“
Dabei kennt Leichter den US-Präsidenten. „Einmal habe ich ein großes Gebäude, das er in meinem Bezirk in New York bauen wollte, verhindert. Danach sagte er zu mir: ,Gut, dann gehe ich Polo spielen!’ Ein anderes Mal hat er mir für meinen Wahlkampf 1000 Dollar geschickt. Ich habe das Geld retourniert und ihn angerufen: ,Donald, das würde dir nicht helfen und es würde mir nicht helfen.’ Er sagte: ,Danke, das Geld kann ich ohnehin gut brauchen.’ Er war immer ein bisschen verrückt.“
Der Senator a. D. verfolgt auch die österreichische Politik mit Interesse. „Meine Eltern wären erfreut, wenn sie sehen könnten, was für ein prosperierendes, demokratisches Land aus Österreich geworden ist. Aber sie wären bestürzt, dass eine weit rechts stehende Partei bis vor kurzem in der Regierung saß.“
Franz Leichter war mit einer Amerikanerin verheiratet und hat zwei Kinder und vier Enkel. Seine Tochter Kathy übernahm eine schwere Aufgabe: Sie gestaltete einen Dokumentarfilm über den Tod ihrer Mutter Nina, die 1995 in einer Depression Selbstmord beging. „Der Tod meiner Frau“, sagt Leichter, „zählt wie die Ermordung meiner Mutter zu den traurigen Momenten meines Lebens“.
Franz Leichter ist nach unserem Gespräch wieder in die USA zurückgekehrt. Um sich dort wie schon sein halbes Leben auf den nächsten Wahlkampf vorzubereiten.
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