Das waren Österreichs "Schweigekanzler"

Das waren Österreichs "Schweigekanzler"
Brigitte Bierlein nennt man jetzt schon die "Schweigekanzlerin". Auch Raab und Schüssel schwiegen.

Man nennt sie jetzt schon „die Schweigekanzlerin“, weil Brigitte Bierlein weder Pressekonferenzen noch größere Interviews gibt. Sie ist aber nicht die Erste an der Regierungsspitze, die schweigt. Auch Julius Raab und Wolfgang Schüssel wurden „Schweigekanzler“ genannt.

Julius Raab hieß in seiner Amtszeit „der große Schweiger“. Was durch mehrere Episoden belegt ist.

Es war im Jahr 1956, als Raab den damaligen Staatssekretär Fritz Bock zum neuen Handelsminister ernannte. Bock, der von seiner Bestellung im Radio gehört hatte, rief Raab im Kanzleramt an, um von ihm zu erfahren, warum er nicht vorher gefragt wurde, ob er das Ministeramt überhaupt antreten wollte.

Raab meinte: „Hätt’st naa g’sagt, wenn i di g’fragt hätt?

„Nein, das hätte ich natürlich nicht gesagt.“

Darauf wieder Raab: „Na also, warum hätt i di dann fragen sollen?“

Der aus St. Pölten stammende Baumeister und begeisterte Virginia-Raucher Raab regierte das Land in den Jahren 1953 bis 1961, in denen sich Österreich wirtschaftlich konsolidierte. Für seine einsamen Entscheidungen ebenso berühmt wie für sein Schweigen, boxte Raab im Alleingang auch wichtige politische Weichenstellungen durch, von denen selbst engste Mitarbeiter erst aus der Zeitung erfuhren. Als er seine Regierungsmitglieder in einer Sitzung wieder einmal vor vollendete Tatsachen stellte, erkannte er in den Gesichtern der Minister leisen Unmut. Da ergriff Raab das Wort und verkündete: „Wer noch etwas zu sagen hat, der stehe auf und schweige.“

Seine Aussagen waren zwar kurz und prägnant, dafür aber oft sehr pointiert. Als man den „Staatsvertragskanzler“ nach dem Geheimnis des wirtschaftlichen Aufschwungs in den beiden vom Krieg zerstörten Nachbarländern Deutschland und Österreich fragte, gab er eine ebenso originelle wie – für seine Verhältnisse – ausführliche Antwort: „Die Deutschen verdanken ihr Wirtschaftswunder ihrem Fleiß, ihrer Strebsamkeit und ihrer Ausdauer. Das österreichische Wirtschaftswunder ist hingegen wirklich ein Wunder.“

Eines Tages fuhr Raab mit dem Dienstwagen von Wien nach Vorarlberg. Im niederösterreichischen Tullnerfeld sagte sein Sekretär, mit einem Blick auf die umliegenden Felder: „Das Getreide steht heuer schon ganz schön hoch.“

Bis knapp vor Feldkirch wurde kein Wort mehr gewechselt, dann endlich meinte Raab: „Do aa!“

Das war die gesamte Konversation während einer Fahrt von 600 Kilometern.

Trotz mancher Parallele liegt der Verdacht nahe, dass damals mit mehr Humor geschwiegen wurde als heute. Ohne viel zu reden hat Raab ganz nebenbei nicht weniger als vier Große Koalitionsregierungen zustande gebracht.

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