Das vergessene Beethoven-Haus
Das Haus hat, man erkennt es auf den ersten Blick, schon bessere Zeiten gesehen. Die Fassade ist dringend renovierungsbedürftig, Wohnräume und Kamine müssen saniert werden. Dabei stehen die bis zu 800 Jahre alte Mauern unter Denkmalschutz, und sie haben eine ganz besondere Geschichte: Hier, in Gneixendorf bei Krems, hat Ludwig van Beethoven sein letztes Quartier bezogen, ehe er nach Wien fuhr und starb.
In fünfter Generation
Gedenkstätten berühmter Persönlichkeiten sind im Allgemeinen im Eigentum eines Landes oder einer Gemeinde. Dieses historische Gebäude befindet sich jedoch in Privatbesitz, und der Eigentümer kann die Kosten der nötigen Renovierung nicht länger aufbringen. Der 53-jährige Weinbauer Martin Gettinger besitzt das Beethoven-Haus in fünfter Generation – sein Ururgroßvater August Kneifel hatte es 1866 erworben.
Beethoven kam im September 1826 nach Gneixendorf, wo sein Bruder Johann das feudale „Wasserschloss“ besaß. Der Grund für die Anreise war, dass Beethovens Neffe Karl, den er nach dem Tod seines jüngeren Bruders Kaspar adoptiert hatte, von der Polizei aus Wien verbannt worden war, weil er einen Selbstmordversuch unternommen hatte, womit man sich damals strafbar machte. Nun nahm Beethoven die Einladung seines Bruders Johann an, um mit Karl nach Gneixendorf zu fahren.
Streit ums Testament
Doch im Wasserschloss kam es nach einer Woche zum Streit: Ludwig forderte Johann – der es als Apotheker in Linz zu großem Wohlstand gebracht hatte – auf, sein Testament zugunsten des Neffen Karl zu ändern. Johann hatte die uneheliche Tochter seiner Frau Theresia aus einer früheren Beziehung als Erbin eingesetzt.
Als Johann die Änderung des Testaments ablehnte, sah sich Ludwig wütend um ein anderes Quartier in Gneixendorf um. Da bot ihm der Papiermühlenbesitzer Ignaz Wissgrill an, in sein Haus in der Schlossstraße 19 ohne jede Mietzahlung einzuziehen. Dem reichen Kaufmann war es eine Ehre, den berühmten Komponisten zu beherbergen. Mit Beethoven zogen sein Neffe Karl und ein Diener in das Haus, um dessen Fortbestand jetzt gekämpft wird.
Vollkommen taub
Beethoven, der damals bereits vollkommen taub war, blieb mehr als zwei Monate, in denen er auf langen Spaziergängen die Umgebung erforschte und komponierte – darunter das Streichquartett op. 135 und die Überarbeitung der Neunten Symphonie. Am 1. Dezember 1826 trat er die Rückreise nach Wien an. Tragischerweise in einem offenen Pferdewagen, in dem er sich bei klirrender Kälte eine schwere Lungenentzündung zuzog, der Wasser- und Gelbsucht folgten, worauf seine Leberzirrhose zum Ausbruch kam, der der Meister am 26. März 1827 in seiner Wiener Wohnung in der Schwarzspanierstraße erlag.
Es gibt Historiker, die anzweifeln, dass Beethoven im „Kneifelhaus“ in Gneixendorf gewohnt hat, zumal es damals so etwas wie einen Meldezettel nicht gab. Um diese Bedenken zu zerstreuen, legt Hausherr Martin Gettinger eine Ausgabe der Zeitschrift Gartenlaube aus dem Jahr 1901 auf den Tisch, in der das Interview eines Zeitzeugen abgedruckt ist. Der damals 86-jährige Pensionist Leopold Kaltenbrunner hat Beethoven als zwölfjähriger Bub in Gneixendorf erlebt und erinnerte sich: „Ja, den Beethoven hab i guat kennt, im Kneifelhaus hat er g’wohnt. Muss eh noch das Zimmer da sein, wo er g’wohnt hat. Ein grantiger Herr, aber guat war er.“ Der kleine Leopold hatte die unvergessliche Aufgabe, den meist grantigen 55-jährigen Musiker auf seinen Wanderungen zu begleiten und ihm immer dann Notenpapier zu reichen, wenn ihm eine Melodie einfiel.
Originalzustand
Auch die offizielle Ortschronik von Gneixendorf und die Überlieferungen durch Gettingers Vorfahren bestätigen, dass Beethoven in diesem Haus gewohnt hat. Vieles aus der Zeit ging verloren, vor allem weil die Russen das Gebäude nach dem Zweiten Weltkrieg besetzt und zum Teil geplündert haben. Doch die bunten Papiertapeten der drei Zimmer im ersten Stock, die Beethoven bewohnte, ein Tisch, der Klaviersessel, die Fußböden, die Deckenmalerei und die Fenster – all das ist im Originalzustand vorhanden. „Meine Eltern, Groß- und Urgroßeltern waren sich bewusst, dass das Haus ein kulturhistorisches Juwel ist, und sie haben daher in die von Beethoven benützten Räumlichkeiten kaum jemanden hineingelassen und sie nie bewohnt. So konnte vieles unbeschadet erhalten bleiben.“
Interessierte Besucher
Nur wenige Schritte vom vergessenen Beethoven-Haus in der Schlossstraße 19 entfernt steht das noble Wasserschloss des Bruders Johann, prächtig renoviert, heute im Besitz eines Architekten, aber für die Öffentlichkeit nicht zugänglich. Herr Gettinger führt indes interessierte Besucher, ohne Eintritt zu verlangen, immer wieder durch sein sanierungsbedürftiges Gebäude.
Weiterhin Museum
Doch er weiß nicht, wie es mit dem vor sich hin modernden Dornröschenschloss weiter gehen soll. Sein einziger Sohn hat kein Interesse, die Gedenkstätte aufrecht zu halten. Um sie zu retten, würde Martin Gettinger den Besitz, wenn es sein muss, sogar um einen Euro verkaufen – unter der Bedingung, dass der neue Eigentümer das Beethoven-Domizil weitreichend saniert und der Nachwelt als Museum zur Verfügung stellt. Die Kosten einer umfassenden Renovierung werden auf ein bis zwei Millionen Euro geschätzt. „Am liebsten wäre mir“, sagt Martin Gettinger, „das Land Niederösterreich würde das Haus erwerben“.
Kommentare