Das Schreckensjahr 1918

Die Spanische Grippe gilt als tödlichste Influenza-Pandemie der Geschichte.
Vor 100 Jahren: Einige der bedeutendsten Künstler starben. Die Menschheit wurde von einer nie dagewesenen Grippeepidemie heimgesucht und erfuhr die blutige Bilanz des Ersten Weltkriegs.

Es gab in diesem Jahr fast keinen Tag ohne schockierende Schlagzeilen. Längst hatten sich die Menschen an schlimme Nachrichten gewöhnt, da seit vier Jahren ein blutiger Krieg wütete, aber 1918 schlug alle bisherigen Schreckensszenarien. Einige der bedeutendsten Österreicher starben in diesem Jahr, im Herbst raffte die schwerste Grippeepidemie aller Zeiten Millionen Menschenleben dahin, zeitgleich ging die 600 Jahre alte Donaumonarchie unter. Und zuletzt wurde auch das ganze verheerende Ausmaß des Ersten Weltkriegs bekannt.

- Gustav Klimt Der erste große Künstler, der in diesem Jahr stirbt, war einer der bedeutendsten Maler seiner Zeit: Gustav Klimt erlitt Mitte Jänner in seiner Wohnung in der Westbahnstraße Nr. 36 einen Schlaganfall und wurde von der Wiener Rettungsgesellschaft ins Allgemeine Krankenhaus gebracht. Dort stirbt er am 6. Februar 1918 im Alter von 55 Jahren. Mehrere seiner Modelle wollten ihn während seines Spitalsaufenthalts besuchen, doch seine wichtigste Muse Emilie Flöge hat keines von ihnen vorgelassen. Nach Klimts Tod geben die Mütter von 14 Kindern an, dass er ihr Vater sei, sechs von ihnen werden gerichtlich anerkannt.

- Otto Wagner Am 11. April 1918 stirbt mit dem 76-jährigen Otto Wagner der wichtigste Architekt der Wiener Moderne. Er schuf die Stadtbahnbauten, die Krankenanstalt Am Steinhof, die Postsparkasse sowie zahlreiche Jugendstilvillen und Wohnhäuser. Wagners Frau Louise ist ihm drei Jahre zuvor in den Tod vorausgegangen, seither lebte er zurückgezogen und schrieb ihr, wie zu ihren Lebzeiten, jeden Tag einen Brief.

- Alexander Girardi Eine Woche nach Otto Wagner trifft die Österreicher ein besonderer Schock: Alexander Girardi, der populärste Schauspieler des Landes, ist tot. Kurz davor durfte er zum ersten Mal auf der Bühne des Burgtheaters auftreten, doch Girardi konnte die späte Ehrung nicht wirklich genießen. Nach wenigen Vorstellungen wurde der schwer zuckerkranke Volksschauspieler ins Privatsanatorium Loew gebracht, wo ihm ein Bein amputiert werden musste. Er stirbt am 20. April 1918 im Alter von 67 Jahren. Als sich die Meldung vom Tod Girardis verbreitet, prophezeien die Wiener: „Der Johann Strauß ist tot, der alte Kaiser ist tot und jetzt ist no der Girardi g’storben. Da wird’s die Monarchie aa nimmer lang geben.“ Sie überlebt ihn nur um ein halbes Jahr.

- Peter Rosegger Am 26. Juni 1918 endet das Leben des 74-jährigen Peter Rosegger. Der durch seine Erzählungen als „Waldbauernbub“ unsterblich gewordene Dichter, der in der Sprache der einfachen Menschen schrieb, wird in seiner steirischen Heimatgemeinde Krieglach beigesetzt. Auf einer Tafel neben dem schlichten Holzkreuz, das er sich „wie jeder Alpler Bauer“ wünschte, stehen die Worte: „Wenn man nach 50 Jahren noch weiß, wer das ist, dann genügt dies.“ Viele wissen es auch nach 100 Jahren noch.

- Die Zarenfamilie Aus Russland langen alarmierende Meldungen ein. Am 17. Juli 1918 wurde die Zarenfamilie brutal hingerichtet. Tatsächlich erschossen Bolschewisten in Jekaterinburg Zar Nikolaus II., seine Frau Alexandra, ihre fünf Kinder sowie weitere Angehörige und Dienstboten der Romanows. Die Sowjets haben im Jahr davor die Macht übernommen.

- Kolo Moser Der Herbst rafft zwei weitere österreichische Jahrhundertmaler dahin: Am 18. Oktober 1918 stirbt der 50-jährige Kolo Moser, der seit zwei Jahren an Kehlkopfkrebs litt. Als er von seiner Krankheit erfuhr, begann er seinen Nachfolger als Professor an der Wiener Kunstgewerbeschule zu suchen.

- Die Spanische Grippe In diesen Tagen wird die Menschheit vom Ausbruch der schwersten Influenza aller Zeiten ereilt. Man schätzt, dass der „Spanischen Grippe“ auf allen Kontinenten 25 Millionen Frauen, Männer und Kinder, davon 20.000 in Österreich, zum Opfer fielen. An der Epidemie starben somit weltweit mehr Menschen als an den Folgen des Ersten Weltkriegs.

- Egon Schiele Das prominenteste Opfer der Seuche ist Egon Schiele. Am 18. Oktober erkrankte seine Frau „an der Spanischen Grippe und bekam Lungenentzündung dazu“, wie Schiele in einem Brief an seine Mutter schrieb. „Die Krankheit ist lebensgefährlich – ich bereite mich auf das Schlimmste vor.“ Am 28. Oktober stirbt die schwangere Edith Schiele, am selben Tag wird der erst 28-jährige Maler von der Virusinfektion erfasst. Er stirbt nach dreitägiger Krankheit am 31. Oktober 1918 in seinem Wohnatelier auf der Hietzinger Hauptstraße 114. An seinem Sterbebett sagt er: „Der Krieg ist aus und ich muss gehen.“

- Victor Adler Vier Tage später ist der Krieg tatsächlich aus, und am 11. November 1918 schlägt die letzte Stunde des 66-jährigen Führers der österreichischen Sozialdemokratie, Victor Adler. Der ehemalige Armenarzt wurde kurz davor als Staatssekretär für Äußeres in die künftige Regierung der Republik Deutschösterreich berufen, ehe er seinem Herzleiden erlag.

- Ende der Monarchie Am Tag, an dem Victor Adler stirbt, verzichtet Kaiser Karl „auf jeden Anteil an den Staatsgeschäften“, womit die Monarchie zu Grabe getragen wird. 24 Stunden später wird die Republik verkündet, doch ihr ist keine Erfolgsgeschichte vergönnt: Österreich leidet unter dem Zusammenbruch des Kaiserreichs, den Kriegsfolgen, einer Hungersnot, Arbeitslosigkeit, Inflation, dem Ende der Demokratie 1934 und schließlich unter dem „Anschluss“ an das verbrecherische Reich Adolf Hitlers.

- Der Erste Weltkrieg Mit dem Ende des Krieges wird Bilanz gezogen, und die Welt erfährt das wahre Ausmaß der Katastrophe, die mit den Schüssen von Sarajewo begonnen hat: 10 Millionen Menschen starben, darunter rund 1,2 Millionen Untertanen der k. u. k. Monarchie, weiters wurden 3,8 Millionen ihrer Soldaten verwundet, gefangen genommen oder vermisst.

So ging 1918 als Jahr des Horrors in die Geschichte ein.georg.markus

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