Gentleman ist überzeugt: „Kultur ist nicht verzichtbar“

Gentleman ist überzeugt: „Kultur ist nicht verzichtbar“
Der Reggae-Star spricht im KURIER über sein erstes deutsches Album „Blaue Stunde“ und die Auswirkungen von Corona auf seine Branche

„Die deutsche Sprache fühlte sich beim Singen gar nicht fremd, sondern im Gegenteil absolut vertraut an.“ Immer noch schwingt in der Stimme von Gentleman, Deutschlands weltweit bekanntem Reggae-Star, Erstaunen mit, wenn er an den Moment denkt, als er für die TV-Sendung „Sing meinen Song“ ein Lied von Mark Forster als Reggae-Version interpretierte. Das war die Initialzündung für „Blaue Stunde“, das Freitag erscheinende erste deutschsprachige Album des als Tilmann Otto geborenen Musikers.

„Mich hat immer ein bisschen gewurmt, dass man in den Breiten, wo ich die meisten Konzerte spiele, meine Texte nicht versteht“, erzählt Gentleman im KURIER-Interview. „Andererseits bin ich nur wegen der Sprache dazu gekommen, in Afrika, Amerika, Jamaika aufzutreten und muss mit Deutsch bei null anfangen. Deshalb habe ich mich nie getraut, ein deutsches Album zu machen. Aber nach ,Sing meinen Song‘ dachte ich, Überlegungen, was andere davon halten, dürfen nicht das Kriterium sein. Das muss sein, ob ich mich damit wohl fühle.“

Gentleman ist überzeugt: „Kultur ist nicht verzichtbar“

Das tat Gentleman. Der Weg bis zu den fertigen Songs war trotzdem ein langer. Es dauerte eine Weile und rund 100 Song-Skizzen, die der Kölner mit Songwritern wie Damion Davis und Samy Deluxe erarbeitet hatte: „Im Reggae war die zentrale Botschaft, den Leuten, die keine Stimme haben, eine Stimme zu geben, gegen Ungerechtigkeit anzusingen und den Gedanken von ,One Love‘ aufrechtzuerhalten. Aber diese Themen habe ich auf Deutsch nicht so gefühlt.“

Deshalb ist Gentleman in den neuen Songs persönlicher geworden und – wo soziale Botschaften transportiert werden – subtiler in der Ausdrucksweise. So postuliert er in „Staubsauger“, das vor der Corona-Krise entstand, dass er wie ein Staubsauger den Dreck in der angespannten Zeit aufsaugen will, um reinen Tisch zu machen.

„Alles läuft viel zu schnell. Es gibt so viele Fragen, auf die keiner die Antwort weiß. Uns allen gemeinsam ist das Gefühl der Ohnmacht dem gegenüber. Der Song sagt, wir brauchen einmal eine Pause zum Durchatmen und reflektieren, um die richtigen Entscheidungen treffen zu können.“

Gleich in mehreren Songs geht Gentleman auf die Ambivalenzen in seinem eigenen Leben ein. Schon mit 15 zog er nach Jamaika, schlief dort auf dem Lehmboden der Hütten von Freunden und sog das Lebensgefühl im Mutterland des Reggae auf. In dem Song „Zwischen den Stühlen“ denkt er darüber nach, dass er sich weder in Köln noch in Jamaika ganz zu Hause fühlt, das aber auch genießen kann. Und in „Bei dir sein“ sucht er nach der Balance zwischen seiner Rolle als Rock ’n Roller und als verantwortungsvoller Vater einer fünfjährigen Tochter.

Vor Corona war Gentleman sehr viel auf Tour gewesen, weshalb die Krise für ihn – „noch“ – nicht existenzbedrohend ist. Allerdings kennt er viele Leute, mit denen er seit Langem auf Tour zusammenarbeitet, für die sie das sehrwohl ist.

„In Deutschland haben wir zweieinhalb Millionen Arbeitsplätze in der Veranstaltungsbranche“, erklärt er. „Wenn die alle arbeitslos werden, kostet das den Staat 25 bis 35 Milliarden Euro. Aber anstatt finanzielle Unterstützung zu geben, damit der Veranstaltungskreislauf aufrecht erhalten werden kann, werden Kredite vergeben, was nur Insolvenzverschleppung ist. Von der Politik kommen aber keine Signale in diese Richtung. Und dann sagt CSU-Parteivorsitzender Markus Söder Sachen wie: ,Man kann mit der Partnerin zu Hause tanzen, man braucht keine Clubs!‘ Dann denke ich schon: ,Hallo! Kultur ist nicht verzichtbar!‘ Sie ist für die Gesellschaft genauso wichtig wie andere Säulen.“

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