Geiger Michael Barenboim: "Auf das einander Zuhören abzielen"

Geiger Michael Barenboim: "Auf das einander Zuhören abzielen"
Salzburger Festspiele. Geiger Michael Barenboim im Interview (Von Susanne Zobl)

Der Violinvirtuose Michael Barenboim gastiert am 16. August mit dem West-Eastern-Divan-Orchestra bei den Salzburger Festspielen. Seit 2003 ist er Konzertmeister dieses Klangkörpers, der als Friedensprojekt von seinem Vater, dem Dirigenten Daniel Barenboim und dem Literaturwissenschaftler Edward Said, gegründet wurde.

KURIER: Bei den Festspielen wird unter strengsten Sicherheitsmaßnahmen gespielt. Könnte das ein Beispiel für den Konzertbetrieb der nächsten Zukunft sein?

Michael Barenboim: Es müssen Lösungen gefunden werden, die es den Menschen ermöglichen, ein Konzert live vor Ort erleben zu können. Wenn ich in einem vollen Flugzeug sitzen kann, kann ich das auch im Konzertsaal. Wenn man in eine volle U-Bahn einsteigen kann, sollte zumindest eine Situation geschaffen werden, wo wir uns Live-Kultur wieder erlauben können. Ich habe auch nichts dagegen, in einem Konzert als Besucher eine Maske zu tragen, wenn das die Lösung wäre.

Daniel Barenboim dirigiert das Konzert. Wie ist das, wenn Sie mit ihm auftreten?

Er ist ein großer Dirigent und Pianist und ob er mein Vater ist oder nicht, macht in diesen Momenten keinen Unterschied, denn es geht darum, die Musik so zu spielen, wie wir denken, dass sie gespielt werden sollte. Ich kann gar nicht sagen, ob das anders ist, wenn ich mit meiner Mutter (die Pianistin Jelena Baschkirowa, Anm.) spiele oder mit meiner Frau. Man versucht, in jeder Situation, so gut es geht, zusammen mit Kollegen zu spielen.

Sie sind seit 20 Jahren Teil des West-Eastern-Divan-Orchestra, seit 2003 auch dessen Konzertmeister. Was konnte und kann dieses Orchester beitragen, eine friedliche Lösung im Nahostkonflikt zu erreichen?

Wir können mit gutem Beispiel vorangehen und ein alternatives Modell für die Region aufzeigen: eine Denkweise, die nicht auf Trennung, sondern auf das Miteinander, das einander Zuhören abzielt. Aber von einem Orchester irgendwelche Resultate in der Region selbst zu erwarten, das wäre doch ein bisschen zu optimistisch. Aber wir tun das Beste, was wir tun können: Wir musizieren gemeinsam.

Ihr Vater trat immer wieder für eine Zweistaatenlösung im israelisch-palästinensischen Konflikt ein. Wie sehen Sie das?

Ich kann die politischen Ereignisse nicht in einem Interview erfassen, aber die Situation wird nicht besser. Ein Zeichen dafür ist, dass wir zum Beispiel das Konzert 2005 in Ramallah heute gar nicht so spielen könnten. Bei diesem Konzert spielten wir mit Musikern aus Syrien, Jordanien und anderen Ländern. Diese Konstellation wäre heute gar nicht denkbar. Und dieses Jahr ist ein besonderes Jahr auch für unser Konzert am 16. 8. in Salzburg. Diesmal können nur jene spielen, die zwar ursprünglich aus der Region kommen, aber bereits in Europa leben. Die anderen dürfen nicht reisen. Es fehlen uns viele, die wir gern dabei gehabt hätten. Wir mussten auch unser Programm ändern, ursprünglich wollten wir Richard Strauss’ „Heldenleben“ spielen.

Auf dem Programm in Salzburg haben Sie das „Siegfried-Idyll“ von Wagner. Ihr Vater war der erste, der Wagner in Israel gespielt hat. Gibt es heute noch Diskussionen darüber, ob man ihn oder auch Strauss in Israel spielen kann?

Das ist global ein hochaktuelles Thema: Was machen wir mit Menschen, die dazu neigen, Gedanken auszusprechen, mit denen wir nicht einverstanden sind. Diese Diskussion bleibt nicht bei Wagner stehen. Wir können nicht so tun, als hätte es ihn nie gegeben, nur weil wir seine Schriften nicht mögen. So einfach kommt man nicht davon. Man muss Musik auch wahrnehmen können, ohne dass einem Momente aus der Biografie eines Komponisten im Weg stehen. Wenn man alles verbietet, wenn einem der Mensch dahinter nicht gefällt, bleibt nicht viel übrig.

Was aber, wenn ein zeitgenössischer Komponist ein faszinierendes Violinkonzert geschrieben hätte und Mitglied der AfD ist. Würden Sie das aufführen?

Ich kann mir die Situation überhaupt nicht vorstellen, aber das ist ein kompliziertes Thema, man weiß nicht, wie man selber reagieren würde.

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