Geheime Netzwerke im Bild

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Künstler Trevor Paglen filmt die NSA: Zu sehen im Film „Citizenfour“ im TV und in der Kunsthalle Wien

Durch die aktuelle Terrorwelle ist die Frage nach der Sinnhaftigkeit und den Grenzen geheimdienstlicher Überwachung wieder in den Fokus gerückt. Der US-Amerikaner Trevor Paglen (41) gehört aktuell zu den wichtigsten Künstlern, die sich um eine Bewusstseinsbildung zu diesem Thema bemühen.

Paglens präzise Aufnahmen von Überwachungsstationen, Satelliten und Militärbasen flossen in den Film „Citizenfour“ über den Fall Edward Snowden ein, der morgen, Montag, in der ARD läuft (23 Uhr). Seine Videoinstallation „89 Landscapes“ ist bis 7.2. in der Schau „Politischer Populismus“ in der Kunsthalle Wien zu sehen. Der KURIER traf Paglen – vor den Pariser Anschlägen – in Wien.

KURIER: Wie hängt die Videoinstallation, die Sie in Wien zeigen, mit dem Film „Citizenfour“ zusammen?
Trevor Paglen: Ich war schon lange mit der Filmemacherin Laura Poitras befreundet, die Snowden 2013 kontaktierte. Sie sagte damals zu mir: Wir beginnen gerade, sehr viel mehr über Überwachungsprogramme und ihre Infrastruktur zu verstehen. Willst du uns helfen und Bilder machen, die zeigen, wie diese Infrastrukturen aussehen? Natürlich sagte ich ja. Ich reiste also quer durch die USA und Europa und kam mit Laufwerken voller Bilder zurück. Die Abmachung war, dass ich alles, was nicht im Film verwendet wurde, für meine Kunst nutzen konnte.

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Welche Bilder sind das?
Es sind Landschaften, die sehr wichtig für die Funktionsweise der globalen Infrastruktur sind, doch das ist nicht unbedingt in der Landschaft sichtbar. Es gibt etwa die sogenannten „cable landing sites“: Die Glasfaserkabel, über die der Datenverkehr zwischen den Kontinenten läuft, kommen an sehr speziellen Stellen an Land. Dort gibt es dann ein Gebäude, in dem das Kabel mit dem terrestrischen Internet verbunden wird. Gewöhnlich haben die Geheimdienste dort eine Anzapfstelle, so dass sie alles sehen können, was in ihr Land hinein- und hinausgeht.

Wo sehen Sie das politische Potenzial Ihrer Bilder?
Im Idealfall sehe ich meine Aufgabe darin, Kunst zu produzieren, die uns hilft, den historischen Moment zu sehen, in dem wir leben. Künstler haben das seit Jahrhunderten getan. Mir geht es auch darum, dass ich auf mein Recht bestehe, Bilder zu machen. Ich denke auch, dass Kunst uns helfen kann, ein Vokabular zu entwickeln, um die Welt zu verstehen – das geschieht nicht nur durch Worte und rationale Argumente, sondern auch durch Bilder. Außerdem kann Kunst Vorschläge machen, in welche Richtung wir als Gesellschaft unsere Aufmerksamkeit lenken sollten.

Wird Kunst heute zu einem Rückzugsort, an dem jene Dinge dokumentiert werden, die der Mainstream-Journalismus nicht mehr behandeln kann?
Das kann manchmal so sein – „Citizenfour“ ist ein Beispiel dafür. Aber Kunst kann noch anderes, da sie nicht davon limitiert ist, Dinge zu dokumentieren. Auch wenn etwas nur der Vorstellung entspringt, kann es uns helfen, klarer zu sehen. Außerdem ist Kunst nicht immer dazu gezwungen, Sinn zu ergeben – und das kann sehr produktiv sein.

Haben Sie bei Ihren Recherchen je Grenzen bemerkt, die Sie aus Sicht der Geheimdienste besser nicht überschreiten sollten?
Nein. Zunächst sind Geheimdienste keine Exekutiv-Organe, auch wenn es Überschneidungen gibt. In den USA, wo ich großteils arbeite, gibt es außerdem kein Gesetz, das besagt, dass man, wenn man als normale Person ein militärisches oder nachrichtendienstliches Geheimnis erfährt, dieses nicht veröffentlichen darf. Im US-Kontext betrifft die Geheimhaltungspflicht nur jene, die für Nachrichtendienste oder das Militär arbeiten und entsprechende Verträge unterschrieben haben. In anderen Ländern ist das anders. Ich bin mir der Gesetze zu Fotoaufnahmen oder Betretungsverboten sehr bewusst, und ich breche sie nicht. Doch natürlich kann man wegen allem möglichen verfolgt werden. Viele Journalisten, die ich kenne, haben derzeit mehr Angst vor der Obama-Administration als je zuvor. Sie geht sehr rücksichtslos dabei vor, Leute zu verfolgen, die geheime Informationen weitergeben oder empfangen.

War es früher leichter, Bilder zu machen?
Es geht in beide Richtungen. Fotografie gilt seit 9/11 oft als verdächtig. Andererseits werden heute mehr Fotos gemacht und ins Netz gestellt als je zuvor. In einem meiner Projekte geht es darum, wer diese Bilder sieht: Es sind großteils Maschinen.

Kunst ist nicht unbedingt ein Massenmedium. Haben Sie Bedenken, dass Ihre Botschaft nicht genug Leute erreicht?
Künstler können sich heute ein viel größeres Publikum schaffen, als es mit den Strukturen der 1950er oder ’60er Jahre möglich gewesen wäre. Klar, der berühmteste Künstler ist nichts gegen einen Hollywood-Schauspieler. Aber man kann heute eine globale Konversation mit Kunst betreiben – auch ohne das System der Galerien und Museen. Für mich ist dieses System aber wichtig, es ermöglicht mir, zu arbeiten. Und ich finde es gut, dass es Orte gibt, die dem Schauen gewidmet sind. Das ist etwas anderes, als Kunst nur auf Instagram zu betrachten.

Trevor Paglen, 1974 in Maryland geboren, studierte Kunst und Fotografie. Er wurde heuer vom Magazin „Art Review“ unter die 100 einflussreichsten Personen der Kunstwelt gereiht. Seine Arbeit „89 Landscapes“, die Infrastrukturen der globelen Überwachung im Breitwand-Format vorführt, ist im Rahmen der Schau "Politischer Populismus" bis zum 6.2. in der Kunsthalle Wien zu sehen. Auf Paglens Website findet sich ein umfassender Überblick über die Arbeiten des Künstlers, das neben Fotos und Videos auch Skulpturen und Installationen umfasst; zudem ist Paglen als Autor und Vortragender tätig.

„Citizenfour“ im Fernsehen

Die Filmemacherin Laura Poitras war zentrale Vertrauensperson des Ex-Geheimdienstmitarbeiters Edward Snowden und dokumentierte dessen Enthüllungen in dem herausragenden Film „Citizenfour“. Er ist am Montag, den 23.11., um 23 Uhr in der ARD zu sehen.

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