"Gawain": Nacht der lebenden Filzmonster
Wenn es eines Beweises bedurfte, dass die Oper auch heute noch groß, kraftvoll, hochphilosophisch sein kann: Die Salzburger Festspiele haben ihn erbracht.
Harrison Birtwistles „Gawain“, ein hierzulande noch nie aufgeführtes Werk der 1990er Jahre, wurde am Freitagabend als erste Opernproduktion der heurigen Festspiele auf die Bühne gebracht. Und zwischen Popkultur-Bezügen, Kunst-Zitaten und musikalischer Macht wurde es ein Ereignis, das vom Publikum anhaltend freundlich gewürdigt wurde.
Der Tag danach
Regisseur Alvis Hermanis zeigte dabei, wie sehr es sich lohnt, eine der mächtigsten Erzählungen der Popkultur auf die Opernbühne zu bringen: jene von der untergegangenen Welt, in deren Nachwehen vereinzelte, verrückte, versandelte Menschen jenseits von Gut und Böse ums nackte Überleben kämpfen. Hier trifft Zombiefilm auf „Der Tag danach“ auf zahllose Science-Fiction-Motive.
Eindrücke aus "Gawain"
Diese postapokalyptische Welt wird in der Felsenreitschule (ein idealer Ort!) in kraftvollen Bildern gezeichnet: Hermanis inszeniert Kannibalismus, zuckenden Halbtotentanz und den wohl unerotischsten Massenstriptease der Halbverwesten; er lässt die Leidenden von Moos überwuchert werden, aufgestapelte Autowracks wie wild blinken, und die Verzweifelten einander waschen, wobei sie sich nur noch dreckiger machen.
„Gawain“ ist ein „Parsifal“ ganz ohne Erlösung: In Gralsmystik und Erlösungssehnsucht ist Birtwistles Werk eng themenverwandt mit Wagners Oper (die Hermanis 2017 an der Wiener Staatsoper inszenieren wird). Aber Gawain (Maltman war als indisponiert angesagt, überzeugte aber) findet im Gegensatz zu Parsifal keine taugliche Waffe, um die tödliche Wunde zu schließen. „Ich bin kein solcher Held“, ruft Gawain immer wieder, als Erfolgloser, Ernüchterter zurückgekehrt vom symbolgeladenen Ringen mit dem Grünen Ritter (sehr gut: John Tomlinson).
Der hatte in einem unheimlichen Deal Gawains Kopf gefordert und lehrt ihn, dass die Zeit der Helden vorbei ist: Zwar entscheidet die sexuelle Verführung (eine große, aber etwas sehr lange Szene mit Jennifer Johnston und Laura Aikin), anders als bei Wagner, nicht mehr über das Schicksal der Welt. Die Verführbarkeit zur Lüge bestätigt aber das entscheidende, negative Urteil über die Menschheit, die ihren Untergang wohl verdient hat.
Auch die Kunst, in letzter Not als überdimensionales Gemälde auf die Bühne geholt, vermag nichts mehr auszurichten.
Wüten
Ja, „Gawain“ ist komplex, kompliziert, in der Inszenierung überaus düster – dass das Publikum da mitging, zeigte: der Abend leistete Großes.
KURIER-Wertung: ***** von *****
Das Werk: Birtwistles „Gawain“ wirft einen neuen Blick auf die Arthur-Sage. Gawain muss im Angesicht des Todes zum Mensch werden. Wuchtige, komplexe Musik ohne Anhaltspunkte.
Die Inszenierung: Alvis Hermanis zeigt eine bildermächtige Vision einer Welt nach der großen Katatsrophe. Düster, bedrückend, voll Siechtum und Unglück. Tolle Projektionen.
Die Interpreten: Gute, teils sehr gute Leistungen des Sängerensembles um Christopher Maltman. Hervorragende Orchesterleistung.
Kommentare