Ganz besondere Geschichten

Lebenshilfe Kindberg, Behinderung, Künstler
Poesie der Sehnsucht: Zu Besuch bei Ohrenschmaus-Preisträger Martin Rausch.
Von Uwe Mauch

Damals, als seine Mama gestorben ist, da sind viele Tränen geflossen. Sie ist schon vor vielen Jahren gestorben. Doch wenn die Rede wieder einmal auf ihr krankes Herz kommt, geht das dem Martin heute noch sehr nahe. Dann weint er, lange, leise, in sich hinein, ohne dabei ein Wort zu sagen.
Die Mama war ein lieber Mensch, sein großer Schatz. Die Sehnsucht nach ihr ist ihm geblieben. Das drückt der 42-jährige Steirer öfters auch in seinen Texten aus.
Zu Besuch im Atelier Nahtloskunst der Lebenshilfe in der obersteirischen Kleinstadt Kindberg: Hier arbeitet Martin Rausch, der an einem Downsyndrom leidet. Er ist einer von fünf Künstlern mit Lernbehinderung. Alle fünf malen, manchmal schreiben sie auch. Mit viel Begeisterung, aber auch mit viel Akribie und Sensibilität.
Martins Texte basieren auf einer Art Co-Produktion. Sie entstehen gemeinsam mit seiner Betreuerin Ilse Hitzelberger. Der Martin sagt gerade raus, was er sich denkt – und Ilse schreibt mit.

Viel Gefühl

Seinen kurzen Text „Drama“ ( siehe unten ) hat er zuletzt bei einem Literaturwettbewerb mit dem klingenden Namen Ohrenschmaus eingereicht.
Der wurde vor sechs Jahren vom Parlamentsabgeordneten Franz-Joseph Huainigg eingerichtet und wird von einer Fachjury begleitet.
Die hat nun Martin Rausch zum Sieger in der Kategorie Prosa erklärt. Langsam gewinnt der Martin daher auch sein Lächeln zurück.
„Der Martin hat genauso Gefühle wie nicht-behinderte Menschen“, betont seine Helferin, die bereits auf 30 Jahre Berufserfahrung vertrauen kann. Und die, wie sie sagt, für ihr Leben gerne die Künstler so professionell wie möglich betreut.
Wenn sie mit dem Martin neue Texte schafft, sitzt sie neben ihm, vor dem Computer. Ihre Finger kommen dabei mit dem Tippen
kaum nach, so sehr sprudelt es aus dem sonst so stillen Mann heraus. Ilse Hitzelberger weiß: „Auch er tut sich leichter, seine Gefühle auf dem Papier auszudrücken.“
Am späten Montagnachmittag werden die beiden erfolgreichen Texter nach Wien fahren, um im Museumsquartier den Literaturpreis und auch ein wenig Geld dafür entgegenzunehmen. Viel wichtiger als das Geld ist dabei allerdings der Applaus. Er wird dem Martin gewiss gut tun. Menschen mit Downsyndrom bekommen sonst nicht allzu oft in ihrem Leben Anerkennung.
Und es freut ihn selbstverständlich sehr, dass ihn die anderen aus seiner Gruppe und mit ihnen seine Betreuer von der Lebenshilfe zum großen Auftritt in Wien begleiten. Auch Kollege Manfred Nagl wird dabei sein, er gilt als der Philosoph in der Gruppe, hat selbst schon einen Preis gewonnen. Stellvertretend sagt er: „Schön, ich freue mich für den Martin.“
Diese Freude muss man nicht in Frage stellen. Menschen mit einem geistigen Handicap erachten es nicht als notwendig, anderen unbedingt zu schmeicheln. Sie sind selten neidisch, nie eifersüchtig. Erläutert Franz Riegler, gelernter Tischler aus Mürzzuschlag und seit 21 Jahren Betreuer bei der Lebenshilfe. „Das macht unsere Arbeit so angenehm.“
Das gemeinsame Reisen ist für die Kindberger Künstler nicht außergewöhnlich. Sie fahren öfters zu Vernissagen, Ausstellungen, Literaturwettbewerben. Um Preise entgegenzunehmen oder sich inspirieren zu lassen. Zuletzt waren sie in Hamburg.
Das Klima hier im Atelier ist sehr entspannt. Wenn jeder in seine Arbeit vertieft ist, ist es angenehm ruhig. „Hier heroben sind schon sehr schwierige Menschen sehr ruhig geworden“, erzählt Sozialpädagogin Hitzelberger stolz.

Kein Mitleid

Wichtig ist ihr auch der Hinweis, dass die Kriterien für die Aufnahme in die kleine, feine Künstlergruppe einigermaßen streng sind: „Wir wollen auf keinen Fall, dass unsere Kunstwerke nur aus Mitleid gekauft werden.“
Der Martin ist mit seinen 42 Jahren der Benjamin in der Gruppe. Gar keine Frage, der Verlust seiner Mutter hat ihn tief getroffen. Doch er hat auch schon ganz andere, weniger traurige Texte zu Papier gebracht. Schön sind auch seine Zeichnungen von Hunden und Affen. Und wenn es gelingt, ihn einmal zum Lachen zu bringen, was gar nicht so schwierig ist, kann man es mit ihm wunderbar lustig haben.

Martin Rausch: Drama

Ich habe Schnupfen gehabt. Mir nicht gut gewesen. Mama will mich Tropfen in Nase hineingeben. Ich habe nicht hineingeben lassen. Ich war böse gewesen und zornig gewesen auf Mama.
Dann bin ich aufgestanden, zu meinem Zimmer gegangen. Dann habe ich Rucksack genommen, aufgemacht. Dann habe ich Unterwäsche hinein getan, meine Pullover und Hose hinein getan. Dann habe ich mich angezogen und Rucksack hinaufgegeben.
Dann bin ich fortgegangen. Und Mama hat fest nachgedacht. Mama hat nachgedacht, dass Haustüre zu ist. Und dann war Haustüre offen gewesen! Und dann bin ich fortgegangen.
Bin fortspaziert zum Bahnhof hinauf. Ein Mann im Gasthaus hat eine Wein getrunken. Auf Parkplatz ist Auto gestanden, da war Tür offen gewesen. Da war Autoschlüssel in Lenkradl gesteckt. Dann bin ich Auto hineingesetzt und habe angeschnallt. Und dann habe ich Auto gestartet. Und der Mann ist gekommen heraus und sagte: Was macht komische Geräusche? Das war Auto, brumm brumm gemacht.
Der Mann sagt: Komm raus aus meine Auto! Ich war bisschen stur gewesen, bin nicht hinausgestiegen.
Und dann kommt Mama aufgeregt mit Socken an zu Parkplatz. Und Mama sagt: Martin komm aus den Auto heraus! Und dann bin ich ausgestiegen. Und dann bin ich mit Mama mitgegangen nach Hause. Mama lieb gewesen, Mama sagt: Du darfst nie wieder in Auto hinein sitzen.
Wie ich nach Hause gekommen bin, bin ich bald eingeschlafen.

Markus Engfer: Zu zweit ist man weniger allein

Mich störte meine Behinderung, obwohl ich nicht genau wusste, was meine ist. Eigentlich könnte ich glücklich sein, denn ich sehe wirklich nicht behindert aus. Und ich habe Fähigkeiten, die manche Behinderte sich wünschen würden. Ich kann rechnen, lesen und schreiben. Bestimmt nicht so gut und schnell wie ein Hauptschüler, aber ich sehe mich zur Zeit sehr zufrieden mit mir selbst. Ich bin ja auch fast ganz normal. „Normal“ in dem Sinne von Menschen ohne Behinderung. „Wenn ich dich so ansehe, siehst du gar nicht so behindert aus“, habe ich schon mal als Kompliment bekommen. (...)
Ich sah viele gute Menschen nach meinem Geschmack und meinen Träumen. Doch ich hatte Angst, Angst sie anzusprechen. Der Grund für meine Angst sind wohl die Depressionen und meine Behinderung. (...)
Die Vorstellung immer alleine zu sein, macht mich traurig. Nur ganz wenige Mädchen haben mich angesprochen. (...) Wie ein Mädchen mal im Bus neben mir sitzen wollte oder mich nach dem Weg gefragt hat. Oder wie eines sich bedankt hat, dass ich ihr die Tür aufgehalten hatte. Und jedes Mal sah ich ihr kleines Lächeln auf ihrem Gesicht. Ich freute mich dann auch. Liebe war hier dennoch nicht der Fall, es war nur die Höflichkeit des Mädchens. Trotzdem merkte ich, zu zweit ist weniger allein.
 

Alle preisgekrönten Texte sowie die Kurzbiografien der Autoren

Der „Ohrenschmaus“-Preis wird heuer zum sechsten Mal vom Büro Huainigg vergeben. Er ist mit 3000 € dotiert. Insgesamt wurden 146 Texte eingereicht.

Preisträger
Martin Rausch vom Atelier „Nahtloskunst Kindberg“ hat in der Kategorie Prosa gewonnen, der Deutsche Markus Engfer mit einem berührenden Text in der Kategorie Lebensbericht (Auszug siehe rechts), Michael Wilhelm von der Caritas Peuerbach in der Kategorie Lyrik. Der Sonderpreis geht an die Kunstwerkstatt Akzent der Lebenshilfe in Südtirol.

Buch Das neue „Ohrenschmaus“-Buch kann man auch bestellen unter: literaturpreis@ohrenschmaus.net

Ganz besondere Geschichten

Am „Welttag der Menschen mit Beeinträchtigungen“, dem 3. Dezember wurden im Wiener MuseumsQuartier zum sechsten Mal diese Preise vergeben, von denen der Juror von der ersten Stunde an, Felix Mitterer, immer wieder betont: „Kein Mitleidsbonus, keine Peinlichkeit – einfach Literatur!“

„So ungefähr mit 17 hab ich begonnen das alles aufzuschreiben, was mir durch den Kopf geht“, schildert Engfer den Beginn seines literarischen Schaffens. „Eigentlich wollte ich zuerst Lieder schreiben, aber ich kann nicht so gut singen.“ Er habe zu der Zeit einmal eine Lesung aus einem Buch gehört, wo jemand sein Leben beschrieben hatte. „Da hab ich dann begonnen davon zu schwärmen, selber auch so etwas zu machen. Ja und so hab ich mich dann hingesetzt und angefangen. Ich schreib zuerst meistens mit der Hand vor und tippe es erst dann in den Computer.“

Neben der Arbeit in einer technischen Werkstatt und dem Schreiben malt Engfer gerne, „manchmal zu Texten, manchmal nur so“..

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