"Wer is meiner Meinung?"
Was ist ein Phänomen? Eine merkwürdige Erscheinung – gelegentlich sogar würdig, sie sich zu merken. Wenn auch unverändert ratlos.
Es gibt reichlich Gelegenheit dafür an diesem feuchtkalten August-Abend in der Wiener Krieau. Dort, wo ansonsten die "Gigerer" (Wienerisch: Rennpferd) traben, bricht ein Rehbock aus dem Unterholz, um in die, lieber weid- denn weltmännische Diktion des gut 15.000-fach bestaunten "Bühnentiers" einzustimmen. Andreas Gabalier also. Ein Sechzehn-Happy-Ender, dem eine (gesittet) glühende Gefolgschaft schon lange vor dem ersten Laut auf Geweih und Verderb ausgeliefert ist.
Der 29-jährige Steirer hält sein, als Jagdtrophäe gestyltes Mikro eindeutig zweideutig. Der Kampfname "Alpen-Elvis" verpflichtet zu kreisenden Hüften. Das "Gesamtpaket Gabalier" fällt auf fruchtbaren Boden. Dabei singt er, in aller Inbrunst, nichts wirklich Unzüchtiges und zeigt bis auf nackte Waden und Oberarme keine Anzüglichkeiten.
Doch "unten", in der prallvollen Arena, die er, auf dem 60 Meter langen viereckigen Laufsteg wie auf den Köpfen der Menge tänzelnd, in drei Stunden an die hundert Mal durchpflügt, dort herrscht ein Schmachten in Trachten. Ob Innenstadtförster oder Sennerinnen der Außenbezirke, alle sind aus dem Häuschen, manchmal gar, so raunt man, aus dem Höschen. Angeblich wurde dem Barden schon Unterwäsche aus Wirk und Walk zu Füßen geworfen.
Fotos vom Konzert
Dirndn und Mäderln
"Ein Psychiater", sagte einst Karl Farkas, der Großmeister des Kabaretts, "ist ein Mann, der zum Striptease geht und dort die Zuschauer beobachtet." Es wäre Hochmut und Hybris, derlei taxfrei auf den Gabalier-Gig anzuwenden.
Denn: Die verblüffendste "therapeutische" Erkenntnis des gemeinen Konzertberichterstatters erschöpft sich in – sehr glücklichen Gesichtern und im geradezu ausgesuchten Wohlverhalten.
Die Gabalisten sind: Gepflegt, gut gekleidet, bestens gelaunt, höflich, herzlich und wenn zuvorkommend, dann nicht im Sinne von Drängeleien bei den Kassen, Eingängen oder Souvenirständen. Und: Während des ganzen Abends kreisen weder Flachmänner noch Schwaden lustiger Zigaretten durch die Reihen. Niemand grölt, keiner verliert die Nahrung, jeder bewahrt begeistert Form und Fassung.
Auch das mag fassungslos machen: Wann zuletzt, bitte, sind 15.000 Menschen ruhig – und abschnittsweise sogar in Zweierreihen – von einem Konzert über die Straßen und per U-Bahn heimwärts gepilgert? Das Publikum ist – wie es der Soziologe formulieren würde – "signifikant systemstabilisierend". Bei der Stichprobe aufs Exempel, also im Gespräch mit rund 50 Besuchern, stellt sich heraus: Alle haben geregelte Jobs und Familienverhältnisse. Die Krankenschwester mit Freundinnenrunde, lauter Angestellte. Der Lkw-Fahrer mit Braut. Das Polizisten-Ehepaar, er in Uniform, weil er sich um den Dienst gerissen hat. Die junge Mutter aus Villach mit Max (8), der "alle Lieder auswendig" kann, seine dritte Stoffkuh (für 8 Euro) bekommen hat und der ein großes Ziel vor großen Augen hat: "Aufi zum Andi auf die Bühne. Mei’ Traum is a Duett mit eahm."
Ebenso erstaunlich, aber empirisch einigermaßen aussagekräftig "erhoben": Keine einzige weibliche Interviewpartnerin hat, so scheint es, auch nur das leiseste Unbehagen damit, vom Idol krachledern als "Dirndl, Rehlein, Mäderl" oder, elegantestenfalls, als "Damenwelt" markiert zu werden. Der Verdacht, Gabalier würde den Begriff "Frau" nicht im Wortschatz führen, wird später freilich enthärtet. "Ich hab nix gegen die Frauenbewegung", tönt er da von oben herab, "ihr wisst’s doch, was ich für eine Freud hab mit euch." Auf die Frage an eine Bankkauffrau, müßig hinzuzufügen: im Dirndl, was den Zauber Gabaliers für sie ausmacht, erfahren wir prompt: "Er hat Charakter."
Chmelar & die Fans
Hymne und Häme
Als (einzige) Prominente im VIP-Bereich taucht, quasi als Außenstehende, die Jazz-Virtuosin Marianne Mendt auf.
Erstaunte Blicke werden ausgetauscht. "Ich möcht’ so gern wissen, was bei dem dahintersteckt." Bei der Musikalität Gabaliers wiegt Mendt – eher skeptisch – ihren Kopf. Ja, professionell. Okay, totaler Körpereinsatz – trotz Erkältung spult Andi als anonymer Antibiotiker sein Pensum runter. Sicher, authentisch ist er auch. Und dann die Bitte: "Schreibst ihm eh ka Hymne – weil den Text merkt er sich nicht." Jede Häme prallt verlässlich ab, am Verführer wie an seinen Zuckerpuppen.
Natürlich kommt die Anspielung auf die Bundeshymne ohne Töchter. Absichtlich hätte er so gesungen, wiederholt Gabalier sein Credo und kassiert seinen so programmierten wie günstigen frenetischen Zwischenapplaus ab: "Wer is meiner Meinung?"
Das Phänomen bleibt unentschlüsselt. "Wenn ich es wüsste", sagt ein langgedienter Veranstalter, "dann hätt’ ich’s selber erfunden."
In Hamburg, vor 8000 in der O2-Arena, haben sie Gabalier genauso geliebt wie in der Heimat, obwohl sie ihn, so ein Tourmanager, "eher gehört als verstanden " hätten.
2015 geht er nach Amerika. Maxi übt schon fürs Duett: "I Sing a Song for You."
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