Freundschaft ist wichtiger

Hanya Yanagihara
Hanya Yanagiharas exzessiver Roman "Ein wenig Leben" war das meistdiskutierte Buch Amerikas.

Damit kann Hanya Yanagihara nicht dienen.

Ihr Name ist kein Pseudonym, man kann keine Jagd auf die 41-jährige Kalifornierin mit hawaiianischen Vorfahren machen wie im Fall der Italienerin Elena Ferrante; und folglich keinen Werbenutzen daraus ziehen.

Ferrantes Saga einer rivalisierenden Frauenfreundschaft beherrscht die Bestsellerlisten.

Yanagiharas 960 Seiten über vier Männer in New York und "Ein wenig Leben" müsste sie verdrängen. (Sollte.)

Nachricht aus L.A.

Es gibt nicht viele Bücher, die man verschlingt – und die dich verschlingen. Es wird unangenehm. Die Schmerzen, die einer der Freunde, Jude, erduldet, sind ansteckend. Alle 50,60 Seiten ritzt er sich mit einer Rasierklinge den Arm auf. Jude ist erfolgreicher Anwalt mit einem Trauma. Gehbehindert ist er durch einen Verkehrsunfall, so sagt er. Die Wahrheit verrät man bestenfalls Freunden.

Eine lebenslange Freundschaft: Wichtiger als eine sogenannte Beziehung. Als Eltern, als Bürger, als Angestellter ... da hat man nach fertigen Regeln zu leben. In einer Freundschaft gelten nur jene Regeln, die von den Freunden aufgestellt werden. Sie allein stecken Grenzen ab.

Freundschaft in verschiedenen Formen der Liebe.

Und wenn Kritiker in Amerika, wo der Roman das meistdiskutierte Buch des Jahres 2015 war, vom "großen Schwulen-Roman" überhaupt sprachen, hat Hanya Yanagihara nichts dagegen gehabt. Ist ja egal.

Sie geht mit "ihren" vier Freunden von den 1950er-Jahren, da waren sie auf dem College und aßen miteinander billig und schlecht beim Vietnamesen, die Karriereleitern hinauf (Schauspieler, Architekt, Maler, Anwalt) ... bis zum Ende.

Der KURIER schickte ihr Fragen nach Los Angeles. Etwa, ob sie sich Männer ausgesucht habe, weil sie leichter zu durchschauen seien. Oder um sich mit Homosexualität auseinandersetzen zu können ...

Hanya Yanagihara verpackte alles in eine Antwort:

"Obwohl heutzutage Romane über Freundschaften häufig über Freundschaften zwischen Frauen erzählen, ist es doch so, dass über Jahrzehnte, in unterschiedlichen Kulturen, Romane sich mit der Freundschaft und Liebe unter Männern befassten.

Übrigens: Ferrantes Bücher habe ich nicht gelesen.

Eine der Freuden, schreibt man über die Liebe zwischen Männern, ist es, dieser Liebe Ausdruck und Sprache zu verleihen; im Allgemeinen sind Männer mutlos, über ihre Gefühle füreinander zu sprechen. Heute noch mehr als, sagen wir, vor 200 Jahren.

Mein Buch beschreibt Freundschaft als Liebeserlebnis. Und ich hoffe, es zeigt, dass deren Umfang und deren Gefühle auf fast alle Formen des Einsseins zutreffen.

Ich habe von keiner der beiden männlichen Figuren, die heftig in eine Liebesbeziehung zueinander verstrickt sind – anfänglich auch auf sexueller Ebene – gedacht, dass sie wissentlich schwul ist.

Sind sie schwul?

Ich nehme an, dass es von der Begriffsdefinition abhängt. Wenn diese lautet, dass jegliche starke, komplizierte, gelegentlich auch körperliche Liebe zwischen Männern schwul ist: Ja, dann sind es Jude und Willem. Weder ich, noch die beiden selbst würden das bestreiten.

In der Tat waren es schwule Männer im Laufe der Geschichte, die uns allen immer wieder bewiesen haben, welche Anpassungsfähigkeit, welche Weite und Großzügigkeit Freundschaft ausmacht oder ausmachen kann.

Dieses Buch drückt hoffentlich aber noch etwas anderes aus. Nämlich dass eine Beziehung, die nicht benannt oder in irgendeine Kategorie eingeordnet werden kann, um nichts weniger wirklich oder bedeutungsvoll ist, nur weil sie nicht klassifiziert werden kann.

Es ist natürlich einfacher, etwas mit einem Namen zu versehen. Aber auch wenn es sich einer klaren Definition entzieht, geht es genauso tief."

***

Wie man Freunde findet? Steht auch im Buch, Hanya Yanagihara hat etwas zu sagen: Man müsse Menschen finden, die besser sind als man selbst. Nicht klügere Menschen, nicht coolere.

Liebenswürdigere. Großzügigere. Nachsichtigere.

Hanya Yanagihara:
„Ein wenig Leben“
Übersetzt von Stephan Kleiner. Hanser Berlin. 960 Seiten. 28,80 Euro.

KURIER-Wertung: *****

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