Franzobel: Dem Ohrgasmus auf der Tonspur

Franzobel: Dem Ohrgasmus auf der Tonspur
Der neue Franzobel: Was treiben Männer, wenn Frauen im Badezimmer sind? Ein 512-Seiten-Wälzer in allen Lebens-Laken – ein erstes "Stöhn-Buch".

Hörbücher? – Hatten wir schon. Gedruckte Geräusche mit Betonung auf Räusche sind neu. Gegen Franzobels explizite Nachlese nahezu aller Männerfantasien eines "vorgeschobenen" Stuntmans namens Hildy erscheint sogar Süskinds "Parfum" wie eine flüchtige Duftnote ...

Und Charlotte Roche darf unter wüsten Schoßgebeten in sämtlichen Feuchtgebieten (erstaunlicherweise: vor Scham!) versinken.

Denn: "Was die Männer so treiben, wenn die Frauen im Badezimmer sind" begründet ein (bisher) buchstäblich unerhörtes Genre. Das "Stöhn"-Buch.

Hildebrand Kilgus, zugleich Ich-Erzähler und Alter Ego(-Mane) des produktiven Provokateurs, begibt sich in dem 512-Seiten-Wälzer durch alle Lebens-Laken obsessiv seismografisch dem weiblichen Lustgewinn auf die Tonspur.

Ohrgasmus -Forschung im Puff, im Kreißsaal, an Sterbebetten und im Beerdigungsinstitut, ob als Freier, als Geliebter oder als Ehemann und als Vater, der (sexuellen) Not gehorchend und dem Triebe.

Es lodert von lebensnaher Logik, dass sich der (literarische) Lausch-Angriff auf die Libido des unbekannten, weil unerreichbaren Wesens Frau auf die streng wissenschaftliche Meta-Ebene verlagert.

Hildy Franzobel sucht Nähe und Wärme aus befremdlich kühler Ferne. Nicht einmal der renommierte Verlag (Zsolnay) ist um ein wollüstiges Werbewort verlegen: "Eine erfrischend komische, erfrischend obszöne Tour de Force durchs Land der Vögel und des Vögelns." Was jetzt?

Erotik, Pornografie, maniriertes Opus Magnum, heiße Ware oder kaltes Kalkül? Wie auch immer: Eine Erregung.

Der KURIER fragte nach

Franzobel: Dem Ohrgasmus auf der Tonspur

KURIER: Herr Franzobel – was sagt eigentlich Ihre Familie zu diesem Buch?
Franzobel: Meine Frau hat jede Phase der Entstehung intensiv miterlebt. Meine Mutter kommt zur Präsentation des Buches – aber sie wird es sicher nicht lesen. Und meine beiden Söhne dürfen es frühestens mit 16 lesen.

Warum wurden Sie so wie und was Sie heute schreiben?
Ich wurde mehr durch Religiosität als durch Politik geprägt. Bis zu meinem sechsten Lebensjahr war "Pfarrer" eine durchaus glaubwürdige Berufsoption. Die Kirche hat in einer ländlichen Gemeinde enorme Autorität. Ich war am meisten von den Schutzengeln fasziniert. Die kindliche Neugier und das Talent zum Staunen galt der Inszenierung, dem Rituellen. Erst diese Sache mit dem Zölibat hat mich rasch entfremdet ... Dann fand ich Trost im Politischen. Das war die Kreisky-Ära. Der hatte ja auch so was Säulenheiliges. Er wurde bei uns zu Hause nie in Frage gestellt. Das Bild von ihm wurde täglich größer. Meine Vergötterung ging sogar so weit, dass ich als Bub jubilierte, als sein "Feind" – Karl Schleinzer, ÖVP (1975) – bei einem Autounfall ums Leben kam. Irre!

Wie politisch sind Sie heute noch? Wen wählen Sie denn?
Ich halte es für ungeheuerlich, wie mit Natur, Tieren und Menschen umgegangen wird. Ich bin also eher grün. Ich fürchte allerdings, die Leute entscheiden sich lieber für das Elend. Es wird ihnen zu viel an Meinung abgenötigt. Die Gutmenschlichkeit überfordert sie. Diese Political Correctness ist auch eine Denkverminderung.

Klingt gar nicht mehr nach dem Revoluzzer früher Tage?
Ich glaube nicht an Revolutionen und Mobilmachung – siehe Iran, Schah und Khomeini, siehe Arabischer Frühling, siehe Französische Revolution. Es ändert sich nichts. Nie. Aber zugleich habe ich Angst vor der widerstandslosen Autorität der Dummheit.

Oder der klugen Lüge, der normativen Kraft des Taktischen in unserem Land?
In Österreich ist eben alles nicht so ernst gemeint. Denken wir nur an Schüssel – der hat die Lüge dermaßen negiert, dass er sie nicht einmal mehr bei sich selbst wahrgenommen hat. Zum Glück ist mein Potenzial an Aufregung darüber beschränkt ... Meine Frau – Maxi Blaha, Schauspielerin – ist dagegen explosiv. Ich bewundere ihre Wut. Ehrlich.

Sind Sie wirklich so belastbar? Einmal wurden Sie sogar als Bankräuber verhaftet!
Das war vor Jahren in Stuttgart. Da hielt mich eine Zeugin für den Täter. Das Lustigste war, dass meine Mutter es glaubte, als sie die Meldung im Teletext las. Aha, dachte sie ohne leisesten Zweifel, deswegen also diese dauernden Lesereisen ins Ausland! Sie wusste halt immer schon, dass man nur vom Schreiben nicht leben kann.

Wie reifte die Idee zur Lebensbeichte des akustischen Orgasmusforschers Hildy in Ihrem neuen Buch? Wollten Sie schreiberisch nachholen, was sonst nicht stattfand?
Die Idee reifte vor 15 Jahren, vor zehn Jahren begann ich mit der Arbeit. In Rom. Es steht sehr viel von mir in diesem Buch. Ich wusste, dieses Buch muss geschrieben werden. Der Name Hildy ist bewusst gewählt. Er ist beides – Mann und Frau. Er ist ziemlich ident mit mir. Er lebt in einer Zerrwelt, die er selbst mitverzerrt. Ich zeige mit ihm meine breiteste Seite. Damit mache ich mich auch extrem verwundbar. Es geht um den offenbar "höheren Plan" der Schöpfungsgeschichte.

Sprich: Der Mann ist nicht treu, weil er seinen "Stamm" vergrößern, die Frau ist nicht treu, weil sie den Nachwuchs verbessern muss. Klingt reichlich kulturpessimistisch ...
Aber wahrhaftig. Die Figur Hildy entwickelt ihre Obsession (kopulierende Frauen bei Lustgeräuschen zu belauschen) natürlich aus unerfüllter, weil unerwiderter Sehnsucht nach ihnen – das Erlebnisdefizit ist eine besonders starke Triebfeder.

"Hildy" holt (im Buch) auf. Wie sehr hat Sexualität Ihre Karriere bestimmt? Es heißt, Sie waren sexsüchtig. Packen Sie nun all Ihre Obsessionen in ein einziges Buch?
Nicht alle! Sogar ich kenne Tabus. Etwas Fantasie sollte man sich ja aufheben. Beim Schreiben haben sich jedenfalls viele Schleusen geöffnet.

Sprechen Sie mit "Hildy"!
Eine in die Welt gebrüllte Intimität, Stöhnen, Ächzen, dämonisches Gebrüll.

Welches Wort turnt Sie ab?
Ficken.

Und welches turnt Sie an?
Paraurethraldrüse (weibliche Prostata-Entsprechung, die zu einer Art von Ejakulation befähigt, Anm.)

Franzobels Fluch: Wort, Witz & Wagnis

Franzobel: Dem Ohrgasmus auf der Tonspur

Der Autor Franz Stefan Griebl (*1967 in Vöcklabruck) lernte Maschinenbau, studierte Germanistik und Geschichte und lebt seit 1989 als freier Schriftsteller in Wien. Sein Erstling ("Das öffentliche Ärgernis", 1993) gilt als exemplarisch für die Lust an Provokationen und obsessiven Wortspielen.

Der Mensch Franzobel ist in zweiter Ehe (mit Maxi) verheiratet, hat zwei Söhne (11, 2).

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