Bilder, die ins Gehirn fahren: Fotokünstler Roger Ballen in Wien
„Es gibt keinen Zufall in meinen Bildern“, sagt Roger Ballen. Der 74-Jährige ist zwar gemeinhin als „Fotograf“ bekannt – tatsächlich gibt es in der aktuellen Kunstwelt wenige Personen, die sich so weit vom traditionellen Verständnis der Fotografie als Abbildung realer Dinge und Begebenheiten entfernt haben.
Blick in den Abgrund
Denn wo herkömmliche Fotografen in die Welt hinausschauen, schaut Ballen hinein: In einen selbst geschaffenen, düsteren, oft albtraumhaften Kosmos, in dem animalische Gelüste und verdrängte Obsessionen die Oberhand gewonnen haben. Der KURIER-Redakteur wird Ballen nach dem Gespräch den Besuch der Alfred-Kubin-Ausstellung in der Albertina Modern empfehlen – der Sonderling erscheint wie ein ferner Geistesverwandter des gebürtigen US-Amerikaners, der als studierter Geologe 1982 nach Südafrika auswanderte und dort neben seiner Tätigkeit für Bergbauunternehmen („waren Sie schon einmal zwei Kilometer unter Tag? Eine interessante Erfahrung!“) eine Kunstkarriere startete.
Ballen entwickelte sich dabei schrittweise von einer Fotografie, die bei aller Abgründigkeit noch dokumentarische Züge trug, zu einer Bildkunst, die zwar eine Kamera verwendet, im Grunde aber aus ausgeklügelten Arrangements in fensterlosen Räumen besteht: Masken, Personen, Puppen spielen darin ebenso eine Rolle wie Ballens eigene Zeichnungen. Das südafrikanische Rap-Duo „Die Antwoord“, mit dem Ballen für mehrere Videos kooperierte, machte diese Ästhetik, für die es bereits das Fachwort „Ballenesk“ gibt, über Kunstkreise hinaus bekannt.
Die Leica-Galerie in der Wiener Seilergasse zeigt nun bis 22. Februar 2025 Fotos aus der Serie „Roger The Rat“, die Ballen ab 2015 schuf und 2020, während der Lockdown-Phasen, mit einem Kurzfilm abschloss. Der Hauptcharakter trägt darin eine absurde Ratten-Gummimaske und richtet sich – als Ausgestoßener, der im Untergrund lebt – in seltsamen Situationen ein.
„Was ich an der Maske mochte, war, dass sie ein grinsendes Gesicht zeigt“, erklärt Ballen, der während seines Wien-Besuchs auch den Flohmarkt am Naschmarkt nach Requisiten durchforstete. „Der Charakter sieht aus, als würde er alles auslachen, auch all jene Dinge, die eigentlich nicht komisch sind.“
Nicht lustig
Ratten – und andere Tiere – kamen dabei auch schon in vielen früheren Werken vor. Das zeigt die Ausstellung „Animal Absurdity“, die im Rahmen des Analogfotografie-Festivals „Rotlicht“ noch bis Sonntag, 24. 11., im Wiener Semper-Depot läuft.
Ein Bursche, der streunende Katzen in einem Käfig fängt, um sie lokalen Medizinmännern zu verkaufen, ist eines der berühmtesten Sujets Ballens. Das Drahtgestell in diesem Bild hallt wiederum in späteren Werken Ballens wider, oft dient ein Draht dort aber nur als abstraktes Bildelement.
„Ich bin sehr stark von formalen Überlegungen getrieben und bin in dieser Hinsicht wohl anders als viele Fotografen“, sagt Ballen dazu. „Bevor ich überhaupt daran denke, ein Bild zu machen, muss es zuerst eine formale Stimmigkeit geben, bei der alle Elemente auf ein gemeinsames Ziel hinsteuern.“
Klare Formen, komplexe Bedeutungen
Das Streben Ballens - nach „einfachen Formen und komplexen Bedeutungen“, wie er sagt - gipfelte im Südafrika-Beitrag zur Venedig-Biennale 2022 wo Ballen in Leuchtkästen ein sogenanntes „Theater of Apparitions“, ein „Theater der Erscheinungen“, inszenierte: Die Bilder, inspiriert von ausgekratzten Markierungen auf rußgeschwärzten Fensterscheiben, wirken archaisch, wie Höhlenmalereien oder Nachbilder, die gar nicht mehr als optische Phänomene greifbar sind, sondern die Schwelle ins Innere des Bewusstseins schon überschritten haben.
„Die beste Kunst ist die, die völlig unvorbereitete Menschen genauso direkt trifft wie Gebildete“, sagt Ballen, der seit 2023 auch ein eigenes Museum in Johannesburg betreibt und dort oft Publikum begrüßt, das zuvor noch nie einen Kunstraum betreten hat. Derzeit ist dort eine Schau namens „End of the Game“ zu sehen, die sich ebenfalls mit Tieren – und mit der Großwildjagd als Form der Machtausübung – befasst. Für sein nächstes Projekt will er weiter graben, noch tiefer als in die Minen seiner Geologenzeit: Eine vollständige Illustration von Dantes „Inferno“ ist für 2025 als Buch angekündigt.
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