Fotografie: Ein Start-up mit Langzeitwirkung

Fotografie: Ein Start-up mit Langzeitwirkung
Heute vor 180 Jahren wurde die „Daguerreotypie“ der Welt vorgestellt: Ein Modellfall der Innovation

In einer Zeit, in der Entwickler neuer Apps selbstbewusst um Finanziers buhlen und gern so tun, als hätten sie die Innovation erfunden, liegt es nahe, Louis Jacques Mandé Daguerre als Vater des Start-up-Booms zu bezeichnen.

Seine Erfindung zur dauerhaften Fixierung von Lichtbildern, die am 19. August 1839 von der französischen Akademie der Wissenschaften der Öffentlichkeit präsentiert wurde, stellte tatsächlich Dinge auf dem Kopf, war also „disruptiv“, wie es im Start-up-Jargon heute heißen würde. Vielfach wird das heutige Jubiläum als „Geburtstag der Fotografie“ gefeiert, wenngleich die Sachlage komplexer ist: Daguerre hatte schlicht im Rennen der Unternehmer seiner Zeit die Nase vorn – und mit dem französischen Staat einen prestigeträchtigen Venture-Kapitalgeber im Rücken.

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Der erste Foto-Hype

Überzeugungsarbeit (neudeutsch: „Pitch“) hatte Daguerre bereits ein paar Monate vor dem symbolträchtigen Augusttag geleistet. Am 14. Juni unterzeichnete er mit seinem Mitstreiter Isidore Niépce einen Vertrag mit Frankreichs Innenminister, in dem der Staat um 10.000 Francs die Rechte an dem neuen fotografischen Verfahren erwarb:

Dank der „Daguerrotypie“ konnten durch Chemikalien lichtempfindlich gemachte versilberte Kupferplatten Bilder in hoher Qualität dauerhaft festhalten. Als der Vertrag politisch abgesegnet war, wurde die Idee umgehend vermarktet – eine sogenannte „Daguerrotypomanie“, neu- deutsch Hype, war die Folge. Viele weitere Aspekte der frühen Fotografiegeschichte scheinen in technischen Innovationen späterer Jahre Widerhall zu finden. Dem Briten William Henry Fox Talbot, der parallel zu Daguerre an fotografischen Verfahren geforscht hatte, kam das Schicksal des ewigen Zweiten zu, auch wenn das von ihm erfundene Positiv-Negativ-Verfahren den längeren Atem haben sollte: Daguerrotypien waren stets nur Unikate, die Herstellung recht aufwändig.

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Nichtsdestotrotz wetteiferten mehrere Produzenten von Kameras darum, „originaler“ zu sein als der Konkurrent, obwohl es kein Monopol auf Daguerre-Apparate gab. Auch dies erscheint als vertrautes Bild angesichts der Trittbrettfahrer, die sich bis heute an innovative Erfindungen anhängen. Natürlich spornten auch andere Erfindungen – das Automobil, das Flugzeug, der Telegraf – die menschliche Innovationskraft an. Doch vielleicht ist es die privilegierte Stellung des Sehsinns, die den Fotoapparat bis heute als Leitfossil modernen Erfindergeists erscheinen lässt:

Sehen ist Wissen, Sehen ist Macht – und der Drang, Bilder anzufertigen, scheint bis heute unerschöpflich.

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Sehen ist Macht

Die Fotografie ging dabei von Beginn an machtvolle Allianzen ein: Wie die Schau „Foto.Buch.Kunst“ in der Albertina derzeit vorführt, trieb sie die Druck- und Reproduktionstechnik zu immer neuen Verfahren an, was einerseits die Verbreitung von Bildern von zuvor ungesehenen Weltgegenden oder von mikroskopischen Ansichten förderte, aber auch der Bildpropaganda Auftrieb gab.

Die Entwicklung immer lichtstärkerer Objektive kam ebenso der Astronomie und der Kunst zugute, war aber nicht zuletzt von militärischer Aufklärung motiviert.

Und während Überwachungsdrohnen vom Militärgerät zum Spielzeug wurden, hielt auch die Miniaturisierung von Kamera-Apparaturen, einst Anwendungen, die der Spionage vorbehalten waren, mit der Smartphone-Revolution Einzug in unser aller Leben.

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Seh-Maschinen

Wie zu Daguerres Zeiten reden auch die Techno-Innovatoren heute sehr oft von fotografischen Methoden, wenn sie ihre neuesten Ideen anpreisen. Nur stehen lichtempfindliche Platten und leistungsstarke Linsen nicht mehr im Fokus des Interesses.

Fotos entstehen heute weitgehend im Computer – und während Smartphones Bilder automatisch so nachbessern, dass kaum ein „schlechtes“ Foto mehr gelingt, schwindet die Hoffnung, durch bloßen Druck auf den Auslöser überhaupt noch eine originelle Komposition zustande zu bringen.

Allein die Zahl der auf Instagram verfügbaren Bilder bewegt sich heute jenseits der 400 Milliarden, Tendenz steigend. Die Programme, die uns animieren, immer mehr Fotos „für Freunde“ zu posten, tun das längst im Hinblick auf ein neues Publikum:

Maschinen, die Gesichter und Muster erkennen, automatisch verschlagworten und verknüpfen, sind als einzige in der Lage, die Flut noch zu bewältigen. Mehr als Erinnerungsstütze und Dokument ist Fotografie heute der Rohstoff für Gesichtserkennungssoftware und selbstfahrende Autos. Ein Treibstoff technologischer Entwicklung ist sie aber geblieben, 180 Jahre nach dem ersten „Pitch“.

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 INFO: Aktivitäten zum "Geburtstag der Fotografie"

Der Wiener Foto-Schauplatz Westlicht lädt aus Anlass des Jubiläums heute Montag ab 14 Uhr zum „Tag der Offenen Tür“. Stündlich finden Führungen durch das neu gestaltete Kamera-Museum  statt, eine Sonderschau zeigt frühe Daguerreotypien aus der hauseigenen  Sammlung. Besondere Attraktion ist das  einzige bekannte erhaltene Exemplar jener Daguerréotype-Kamera, die die Gebrüder Susse in Paris unmittelbar nach der Präsentation der Erfindung  1839 anboten – die erste kommerzielle Kamera überhaupt. Westlicht-Chef Peter Coeln schoss damit Fotos prominenter Persönlichkeiten; er führt die Kamera  am „Tag der Offenen Tür“   selbst vor.
 

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In der Albertina zeigt die Schau „Foto.Buch.Kunst“  bis 22. 9. den Weg der Fotografie in die Massenreproduktion – mit zahlreichen  historischen Fotobüchern & Materialien.


Die bis 6. 10. laufende „Vienna Biennale“ zeigt in der Ausstellung „Uncanny Values“ im MAK u. a. Werke des Künstlers Trevor Paglen, der sich mit Bilddatenbanken und dem Einsatz künstlicher Intelligenz bei der Verarbeitung digitaler Fotos befasst.

Österreichs Berufsfotografen feiern das Jubiläum u. a. mit einem neuen Überblicks-Band, der auf 180 Seiten eine kompakte  „Zeitreise durch die österreichische Fotografie“ anhand 70 ausgewählter Persönlichkeiten verspricht. Das Buch ist via www.100und80jahre.at   zu bestellen und kostet 27,80 €. Auf der Website aap.photo  soll   demnächst eine „Foto-Wikipedia“ mit Einträgen zu namhaften heimischen Fotografen online gehen. Landesinnungen planen heute,  Montag, noch  eigene Events, u. a. ein Fotoshooting im Mirabellgarten Salzburg.

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