"For Forest" in Klagenfurt: Ein Wald, viele Perspektiven
Das Beunruhigende, ja, Skandalöse an der Kunst ist oft genug ihre Vieldeutigkeit. Sie wehrt sich gegen Vereinnahmungen, lässt Deutungen zu, offenbart Widersprüche.
Insofern stellte sich die Frage, ob das Projekt „For Forest“ im Klagenfurter Wörthersee-Stadion, das am Donnerstag Medienvertretern präsentiert wurde und am Sonntag eröffnet wird, überhaupt Kunst ist: Denn jeder schien genau zu wissen, worum es bei dem vom Schweizer Klaus Littmann initiierten „Stadionwald“ geht.
„Ein Mahnmal, das verantwortungsvollen Umgang mit der Natur einfordert“ ist er für Klagenfurts Bürgermeisterin Maria-Luise Mathiaschitz (SPÖ). Aber auch ein „Faktor für die Imagebildung“ der Kärntner Hauptstadt – und ein Reinigungsritual, um die Geister der Haider- und Hypo-Alpe-Adria-Ära auszutreiben, als deren Prestigeprojekt das 2007 eröffnete Stadion ursprünglich entstand: Die verbliebenen Geister wehren sich dagegen seit Längerem mit PR-Perchtenläufen und Negativkampagnen. „Ein Symbol, dass die Anziehungskraft der Natur größer ist als das Ego des Menschen“, sieht dagegen der Kärntner Unternehmer und Hauptsponsor Helmut Waldner, der das Ding gern entpolitisiert sähe. Für viele Einheimische ist es schlicht „ein Event“.
Kunstanspruch
Insofern war die Ansage „Es ist ein Kunstprojekt“, mit der Littmann sein Publikum am Donnerstag in das imposante Stadion mit der frisch duftenden, streng abgezirkelten Installation aus 299 Lärchen, Birken und anderen Bäumen entließ, nicht selbstverständlich. Bis zum 27. Oktober wird im Stadion niemandem ein Platz zugewiesen, man darf sich auf den Rängen frei bewegen, physisch wie auch im Denken, das ist doch schon einmal etwas.
Und die Installation funktioniert: Der Landschaftsarchitekt Enzo Enea konnte die Dimensionen, die die Zeichnung „Die ungebrochene Anziehungskraft der Natur“ (1970/’71) von Max Peintner vorgab, ziemlich genau reproduzieren. Der Kontrast zwischen Wald und Stadionarchitektur ist eindrucksvoll, und der Umstand, dass sich von den untersten Reihen bis zu den obersten Rängen verschiedenste Standorte einnehmen lassen, erlaubt es in der Tat, den Wald anders zu sehen als in der unmittelbaren Umgebung, die im Unterschied zu Peintners Zeichnung nicht urban, sondern grün ist.
Zugleich ist der „Stadionwald“ selbst höchst künstlich und widersprüchlich: Jede Pflanze ist arrangiert, die Bäume selbst wurden von klein auf an den Wurzeln domestiziert, um transportfähig zu bleiben; dass sie durch Europa gekarrt werden mussten, rief im Vorfeld Kritik hervor – auf Nachfrage blieb Enea Details zum -Fußabdruck der Transporte schuldig. Derlei Baum-Transfers seien in seiner Branche aber üblich, so der Architekt, der auch noble Anwesen ausstattet und zuletzt der Kunstmesse „Art Basel“ Bäume vor die Tür setzte.
Man könnte den „Stadionwald“ daher genauso gut als Denkmal der Domestizierung interpretieren – als Beweis, dass das menschliche Ego vielleicht nicht Berge, aber zumindest Wälder versetzen kann. Man wäre damit näher an der ursprünglichen Vision des Zeichners Max Peintner und seines Kompagnons Alfons Schilling, der meinte, dass der Mensch im Grunde vor der Natur Angst habe. Die Darstellung dieser Übermacht, die Ästhetik des „Erhabenen“, ist ein wiederkehrendes Thema der Kunst.
Kunst statt Kicken
„Natur“
Erhaben ist „For Forest“ nicht. Die Installation setzt „Natur“ unter Anführungszeichen, zeigt sie nicht als Urgewalt, sondern als Vorstellung. Peintner bietet dazu inzwischen eine weitere Interpretation an: Das technoide Stadion sei nämlich auch ein Schutzwall, und der Mensch werde die Technik brauchen, um der Naturzerstörung Herr zu werden. In diesem Sinn denkt der „Stadionwald“ tatsächlich die im Grunde apokalyptische Zeichnung von 1970/’71 weiter, die ja ebenfalls nur einen Betrachterstandort zuließ.
Dass auf den Rängen nun viele Perspektiven eingenommen werden können, ist Littmanns zentrales Verdienst. Dass das ökologische Belehrungsmoment zurücktritt, ist dabei kein Fehler. Vielleicht wird „For Forest“ dereinst ja gar nicht so sehr als Öko-Projekt, sondern als „Mahnmal gegen Engstirnigkeit“ gesehen werden.
Eröffnung am Sonntag:
Am 8. 9. ist das Wörthersee-Stadion ab 12 Uhr für Besucher geöffnet, um 14 Uhr findet die Eröffnungszeremonie der Installation „For Forest“ statt. In der Folge ist das Stadion bis zum 27.10. täglich von 10 bis 22 Uhr bei freiem Eintritt zu besuchen. Rund um die Installation gibt es ein umfassendes Vermittlungs- und Veranstaltungsprogramm, an dem sich zahlreiche Kulturinstitutionen in Klagenfurt und in umliegenden Orten beteiligen. Infos auf www.forforest.net
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