Filmstarts der Woche: Hader, die Fantastischen Vier und viel Nordwind
"Nevrland": Nur keine Panik vor dem Leben
Im Technoclub zucken die Stroboskopblitze, die Musik dröhnt durch Mark und Bein. Eine wie in Trance versetzte Masse bewegt sich zu den Rhythmen, nur einer zögert: Jakob kostet es große Überwindung, sich in diesen Trubel des Stampfens und Schiebens zu begeben. Seinen Kapuzenpulli auszuziehen und mit nacktem Oberkörper drauflos zu tanzen.
Jakob hat eine Angststörung. Er wird gequält von traumatischen Erinnerungen an eine Mutter, die die Familie verließ, als er sechs war. Von Ängsten vor der Zukunft, dem Alleinsein, vor Lieblosigkeit. Mit seinem empathielosen Vater lebt er in einem tristen Haus am Stadtrand – eine Zweckgemeinschaft. Die Arbeit in einem Schlachthof – wo auch der Vater arbeitet – kotzt den sensiblen Jugendlichen im wahrsten Sinne des Wortes an. Beim Anblick und Geruch des Tierbluts muss er sich übergeben. Einzige emotionale Stütze ist der Großvater, um den sich Gregor rührend kümmert. Als er stirbt, packt ihn die Angst mit noch gnadenloserer Wucht.
Am ehesten verspürt Jakob ein gutes Gefühl, wenn er alleine vor seinem Compuer sitzt. Unbeobachtet, im Betrachten von Bildern junger Männer versunken. Manchmal chattet er auch – eines Nachts mit dem Videokünstler Kristjan.
Denn seinem Verlangen kann man nicht entfliehen: Jakob lässt sich nach dem Drängen von Kristjan auf ein Treffen ein. Man kommt sich näher – doch dass die Nähe der beiden Männer nur eine kurzfristige ist, ist von Anfang an klar.
Mit starken Bildern und einem großartigen Hauptdarsteller – dem Newcomer Simon Frühwirth – zieht einen der junge österreichische Regisseur Gregor Schmidinger in einen Kosmos von Selbstfindung, Zweifeln, kleinen Triumphen und flüchtigen Zärtlichkeiten.
Seine Reise in die seelischen Abgründe Jakobs geht weit über dessen Schwulsein hinaus. Es ist ein verstörender Trip in ein angstgestörtes Inneres, mit faszinierenden Traumsequenzen, Cam-Chat-Fetzen, einer Rückenmark-Punktion und dem Zertrümmern des eigenen Spiegelbilds. Spannend auch, wie Schmidinger aufzeigt, dass körperliche Nähe durch unsere virtuelle Realität zu etwas Exotischem geworden ist.
Sich berühren, sich Auge in Auge gegenübersitzen und reden ohne Webcam dazwischen, das ist für viele Menschen bedrohlich.
Simon Frühwirth ist Frischling und Meister zugleich – ein Meister der Spiegelung unterdrückter Gefühle. Josef Hader kann seiner ohnedies schon legendären Reduziertheit und Lakonie als hilfloser Vater noch eins draufsetzen.
Kein Film zum Wohlfühlen, aber einer, der nachklingt.
"Gut gegen Nordwind": Der Bestseller soll nun das Kino erobern
Mail-Verkehr. Es musste ja so kommen. 13 Jahre sind vergangen, seit Daniel Glattauer mit „Gut gegen Nordwind“ einen fulminanten Bucherfolg landete. Mit seiner Geschichte von zwei Menschen, die sich überhaupt nicht kennen, sich aber immer offenere und leidenschaftlichere eMails schicken, traf Glattauer einen Nerv. Millionenfach wurde das Buch weltweit verkauft und in 35 Sprachen übersetzt. Inzwischen gibt es schon eine Fortsetzung („Alle sieben Wellen“).
Eigentlich erstaunlich also, dass „Gut gegen Nordwind“ nicht schon früher verfilmt wurde. Vor ein paar Jahren gab es schon ein Bühnenstück im Theater in der Josefstadt, das (mit Ruth Brauer-Kvam und Alexander Pschill) recht erfolgreich lief. Der Kinofilm hat nun nichts Österreichisches mehr, wird aber trotzdem ein Erfolg an der Kinokasse werden.
Vanessa Jopp hat die Regie übernommen, Nora Tschirner und Alexander Fehling geben die zwei liebeskranken Dauer-Mailer, die eigentlich eh erfüllte und interessante Leben haben, einander aber „just for fun“ immer näher kommen. Tschirners Emmi wirkt wie immer leicht durch den Wind, aber sympathisch. Fehlings Leo ist vielleicht einen Tick zu glatt und schnöselig. Jedenfalls nicht so, wie man sich ihn nach Lektüre des Buches vorgestellt hätte. Ja, das Buch: Es ist – wie fast immer bei Buchadaptionen – besser als der Film. Wer Glattauer gerne liest, sollte dies also weiter tun und den Film als das sehen, was er ist: nettes, belangloses Unterhaltungskino mit einem Ende, das – leider – nicht dem Buch entspricht.
"Wer vier sind": 30 Jahre – und die Fantas sind kein bisschen leise
„Die da“ sind immer noch da. 30 Jahre lang halten sich Die Fantastischen Vier – Michi Beck, Thomas D., And.Y und Smudo – schon auf der Bühne. Die Texte ihrer Lieder sind Kult, ganze Generationen kennen sie auswendig. Sogar in deutsche Schulbücher haben es die Fantas geschafft.
Zeit also, den Fantas ein bisschen auf die Nerven zu gehen und sie für eine Doku auf Schritt und Tritt zu beobachten.
Thomas Schwendemann fährt also zu Thomas D. in sein Zuhause in der Eifel-„Pampa“, beobachtet Smudo beim Autorennen, lässt Michi -– „unsere Pussy“ – coole Bühnenoutfits aussuchen und And.Y in seiner Rolle des Eigenbrötlers glänzen. So verschieden die Vier auch in ihren Lebenswelten sind, so einig sind sie sich in dem kreativen Kosmos, den sie schaffen. Nicht umsonst heißt einer ihrer großen Hits „Zusammen“. Konzert-, äh: Kinoticket besorgen!
"Mein Leben mit Amanda": Plötzlich Ersatzvater und nicht reif dafür
Zuerst ist alles ist gut: Sandrine ist Lehrerin und Alleinerzieherin der siebenjährigen Amanda. Onkel David, der kleine Bruder Sandrines, ist von Beruf Lebenskünstler. Seit Kindertagen sind Bruder und Schwester unzertrennlich.
Dann geschieht das Schreckliche: Sandrine wird Opfer eines Attentats und David findet sich alleine mit Amanda wieder. Vorbei die Unbeschwertheit, das In-den-Tag-Hineinleben. Der junge Mann muss entscheiden, ob er Vormund des Mädchens wird. Eine kluge Reflexion über die Flüchtigkeit schöner Momente und den Ernst des Lebens.
"Der Stoff, aus dem die Träume sind": Wenn Menschen so wohnen, wie sie wollen
Es ist ein interessanter Anstoß in Zeiten, in denen Wohnraum immer knapper und unerschwinglicher wird: Anhand von sechs Erfolgsprojekten selbstverwalteten und -organisierten Wohnens zeigen die Filmemacher Michael Rieper und Lotte Schreiber, wie man auch wohnen und dabei glücklich sein kann. Sie besuchen quer durchs Land Pioniere des Kooperativen Wohnens: die Bewohner einer zaunlosen Reihenhaussiedlung in Graz-Raaba aus dem Jahr 1979; die Terrassenhaussiedlung in Graz-St. Peter; die Ökosiedlung Gärtnerhof in Gänserndorf; den Cohousing Lebensraum ebendort; das Wohnprojekt Willy*Fred in Linz und das Wohnprojekt Wien. Alle BewohnerInnen wirken zufrieden und entspannt – von den üblichen Nachbarschaftsquerelen abgesehen. Ein sehenswerter Einblick in alternative – und leistbare – Wohnformen in Österreich.
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