Ist es nicht so, dass die Menschen das, was sie lieben, oft am kritischsten behandeln?
Ich sehe, dass Israel die Menschen verrückt macht – körperlich, aber auch in ihrem Innern. Wenn du in einer permanenten Opposition und Disharmonie mit deiner Umgebung lebst und das über viele Jahre hinweg, dann wirst du zu einer unmöglichen Person. Vielleicht ist es moralisch richtig, diesen Widerstand zu leben, aber er entmenschlicht dich mit der Zeit. Wenn du überall nur mehr Feinde siehst, dann siehst du sie am Ende auch in den Menschen im Supermarkt, in den Leuten neben dir im Theater oder auf der Straße. Am Ende bist du wie ein Guerillakämpfer, der in seiner Uniform schläft, weil er ständig Angst hat, angegriffen zu werden.
Als Sie Anfang 20 waren, gingen Sie weg aus Israel nach Paris. Gab es einen konkreten Grund für diese Flucht?
Ich wollte nur weg und nicht mehr zurück. Ich wollte nicht nur etwas anderes sehen, sondern auch vergessen können. Alles, was ich wusste und gesehen hatte, vergessen. Natürlich habe ich mir von Paris zu viel erwartet, was sich nicht erfüllen konnte. Ich erwartete mir, mich dort zuhause fühlen und mein altes Ich vergessen zu können. Und gemocht zu werden. Aber Pariser haben, wie wir wissen, eine sehr seltsame Art, Sympathie zu zeigen.Ich war einfach erschöpft von diesem endlosen Ringen, Streiten und Kämpfen in Israel und nahm es daher in Kauf, irgendwo zu sein, wo ich nicht wirklich willkommen war. Ich wollte an einem Ort sein, wo die Dinge normal sind und nicht immer ein Schatten über diesem Ort liegt.
Der Protagonist in „Ahed’s Knie“ ist ein Filmemacher, der sich keinen Regeln beugen will und unverkennbar viel von Ihnen hat. Inwieweit ist er Ihr Alter Ego?
Naja, ich bin nicht Quentin Tarantino, der sich gerne in seinen Filmen selbst inszeniert und der übrigens jetzt auch in Israel lebt. Aber natürlich sind viele Dinge, die in meinem Film über diese Doppelmoral der israelischen Kulturindustrie vorkommen, auch mir passiert. Auch ich war zu einer Vorführung meiner Filme in die Areva-Wüste eingeladen und musste dort dieses Formular ausfüllen, worüber ich reden soll und worüber nicht. Auch Fotos und Videos meiner Mutter, die ja auch Cutterin meiner Filme war, wurden dort gezeigt. Das entspricht der Wahrheit.
Sie haben den Film unmittelbar nach dem Tod Ihrer geliebten Mutter 2018 geschrieben. War er für Sie eine Art Therapie?
Ich habe drei Wochen nach ihrem Tod zu schreiben begonnen und in nur zwei Wochen das Script fertig gehabt. Ich habe mich regelrecht in die Arbeit gestürzt. Ich weiß nicht, ob man das als Therapie bezeichnen kann. Ich verstehe die Dinge nicht, bevor ich sie nicht vor mir sehe. Da realisiere ich erst, was passiert. Der Blick durch die Kamera macht die Dinge klarer für mich. Beim Drehen haben ich mich in meinem Schmerz meiner Mutter am nächsten gefühlt. Da ist diese Szene im Film, wo der Regisseur Videos an seine Mutter schickt, ihr am Ende des Tages zeigt, was er gedreht hat. Ich bin kein mystischer Mensch, aber das hat mich total mitgenommen. Auch ich habe ihr immer mein Drehmaterial geschickt. Sie fehlt mir sehr.
Wenn man Filme aus Israel sieht, gewinnt man den Eindruck, dass ein großes Maß an Rohheit und Brutalität die israelische Gesellschaft prägt. Ist das so?
Man hat in Israel immer das Gefühl, dass die Leute aufeinanderprallen. Sich anrempeln, zusammenstoßen. Selbst wenn sie versuchen, Zuneigung auszudrücken, hat das immer etwas Rüdes. Es ist nie eine zärtliche Geste, immer frontal. Auch unsere Sprache ist sehr lakonisch und hart. Es gibt keine Höflichkeitsformeln oder Verniedlichungen, sondern eine brutale Direktheit. Ja, in Israel ist alles wilder und roher als anderswo.
Prägt der obligatorische Militärdienst die israelische Gesellschaft im negativen Sinn?
Drei Jahre hinterlassen schon Spuren, aber sie sind nicht falsch. Der Militärdienst in Israel startet in Wirklichkeit schon mit fünf Jahren: Wenn dir schon als Kind eingetrichtert wird, dass das deine wichtigsten Jahre sein werden, in denen du zeigst, woraus du gemacht bist, wo du deine wahren Freunde und dich selbst triffst, dann ist der Moment, in dem du den Dienst antrittst, nur mehr ein technischer Moment. Du hast dich ein Leben lang darauf vorbereitet.
Der Militärdienst ist traumatisch, aber nicht in dem Sinn, dass man jemanden töten muss. Es ist eher die Tatsache, dass man sich für Jahre jemandem ausliefern muss, dem man gehorchen muss. Danach weiß man nicht mehr, wer man eigentlich ist. Das Schlimme ist, dass das in Israel Normalität ist. Wenn du etwas als normal ansiehst, das völlig abnormal ist, dann ist das der Moment, wo das kollektive Trauma beginnt. Die Gesellschaft basiert auf einer Anomalie, die als Normalität verkauft wird. Das ist die wahre Crux Israels.
Kommentare