Filmemacher Ulrich Seidl wird 60

Filmemacher Ulrich Seidl wird 60
Ulrich Seidls Filme sind nie einfach zu konsumieren, und immer wieder auch umstritten. Am 30. November kommt seine "Paradies"-Trilogie ins Kino.

Egal ob man die Filme von Ulrich Seidl mag oder nicht, kalt lassen sie einen nie. Das war schon bei den ersten dokumentarischen Werken auf der Filmakademie so, das galt auch für "Hundstage", "Import Export" oder aktuell für seine "Paradies"-Trilogie, deren erster Teil am 30. November im Kino anläuft. Sechs Tage vorher, am Samstag, 24. November, feiert der österreichische Regisseur seinen 60. Geburtstag - und das als einer der irritierendsten, kontroversesten und wichtigsten Filmemacher seiner Generation.

Wenn Seidl Kino macht, dann macht er das mit einem erbarmungslosen Blick, ohne zu verschönern oder wegzuschauen, stattdessen im Wissen um die menschlichen Untiefen und jene Interessen, die üblicherweise gut versteckt in den eigenen vier Wänden bleiben. Seidl schaut dorthin, wo die meisten lieber ihren Blick abwenden - und erregt nicht selten damit den Unmut der Moralhüter. Zuletzt gab es im September in Italien eine Anzeige wegen Blasphemie, als "Paradies: Glaube" beim Filmfestival in Venedig seine Premiere feierte.

Der zweite Teil der Trilogie - der erste Teil mit dem Zusatztitel "Liebe" war zuvor bereits bei den Filmfestspielen in Cannes im Wettbewerb gelaufen - schildert das Leben der missionarischen Krankenschwester Anna Maria, die sich selbst geißelt, mit dem Kruzifix masturbiert und einen innerehelichen Konflikt mit einem muslimischen Ägypter austrägt. Der Film geriet über weite Strecken amüsanter, als Seidl das selbst erwartet hätte, und wurde nur wenige Tage nach der Anzeige mit dem Spezialpreis der Jury ausgezeichnet.
 

Teil 3 der "Paradies"-Trilogie läuft bei Berlinale

Die gleiche Auszeichnung hatte Seidl zwölf Jahre vorher bereits für "Hundstage", ebenfalls mit Maria Hofstätter in einer zentralen Rolle, erhalten - und das völlig zurecht. Über kaum einen Film wurde am Lido so heftig diskutiert wie über "Paradies: Glaube", und kaum ein Film vermochte eingefahrene Diskurse über Religion und Glauben stärker aus den Angeln zu heben. Schon "Paradies: Liebe" über weibliche Sextouristen in Kenia hatte in Cannes für viele Diskussionen gesorgt. Der dritte Teil, "Paradies: Hoffnung", wird im Februar bei der Berlinale im Wettbewerb präsentiert - für Seidl ein Hattrick der besonderen Sorte.

   Wie bei "Hundstage" oder "Import Export" arbeitete er wieder sowohl mit professionellen Schauspielern (u.a. Hofstätter) als auch mit Laien, mit viel natürlichem Licht und dokumentarischen Stilmitteln, mit zwar genauem Drehbuch, wie er erklärte, aber ohne vorgegebene Dialoge: "Man kann und muss immer mit dem Zufall rechnen." Er sei nicht darauf angewiesen, dass geschriebene Szenen in den Film kommen, verlasse sich dagegen vielmehr auf Improvisation und daraus erwachsende Überraschungen, deshalb kann sich die Arbeit an Filmen oft jahrelang ziehen. "Bei mir dauert's immer lange", sagt Seidl lapidar.

Konfliktfreudig

Sein kritischer Blick auf die Gesellschaft und die besondere ästhetische Form seiner Filme haben den Drehbuchautor, Regisseur und Produzenten zu einem Aushängeschild für den österreichischen Film gemacht - auch wenn seine Filme nicht zuletzt auch hierzulande oft heftige Reaktionen ernten. Dass er Konflikte nicht scheut, hat er kürzlich auch bewiesen, als er seine Filme von der Viennale zurückzog, weil er die Beginnzeiten für österreichische Filme für nicht angemessen hielt. Inzwischen hat Seidl selbst schon auf Filmakademien gelehrt und galt als einer der Vorreiter einer verstärkten Suche nach Realismus im europäischen Kino. Sein Leben hat er ganz der Arbeit gewidmet: "Wenn ich keine Filme mache, bereite ich welche vor. Filme machen oder Filme denken ist sozusagen mein Leben."

Das hielt ihn aber nicht ab, sich auch ein zweites Mal dem Theater zu widmen: Kurz nach den Filmfestspielen von Cannes feierte seine David-Foster-Wallace-Adaption "Böse Buben / Fiese Männer" bei den Wiener Festwochen Premiere. Inzwischen wächst bereits die Neugier auf seine nächste Filmarbeit: Die Dreharbeiten zur Doku "Im Keller" sind abgeschlossen, der Film soll die unterirdische Beziehung der Österreicher zu ihren Kellern skizzieren. Und auch eine Doku über Seidl selbst, gedreht von Constantin Wulff, ist derzeit in der Fertigstellung.

Bilder: Die Filme von Ulrich Seidl

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