In Bad Ischl wird gerne gedacht. Den Komponisten und Dichtern und Schauspielern – auf Tafeln aus Marmor. Adalbert Stifter, liest man, war 1853 als Schulinspektor da. Anton Bruckner spielte in der Pfarrkirche. Stefan Zweig logierte 1895 mit seinen Eltern im Haus Athen, Robert Musil 1930 im Hotel zur Post. Johann Strauss schuf unsterbliche Melodien. Auch Alexander Girardi war Stammgast im Café Ramsauer. Nur auf die Frauen hat man vergessen – sieht man einmal von Erzherzogin Sophie und deren Schwiegertochter Sisi ab.
Das Festival der Regionen liefert nun einen Gegenentwurf: Es stellt Frauen in den Mittelpunkt. Nicht die adeligen, berühmten, sondern die Heldinnen des Alltags.
Globalisierte Trachten
In der ehemaligen Trinkhalle, heute die zentrale Infostelle, entdeckt man eine Vitrine mit den edlen Trachten von Lodenfrey. Gefertigt wird aber schon lange nicht mehr in Bad Ischl. Im ehemaligen Sportgeschäft Hettegger, heute ein Schandfleck, erinnert Betül Seyma Küpeli mit digitaler Malerei, Installationen und Oral History an die einstigen Arbeitsbedingungen.
Ab den 70er Jahren nähten Frauen aus der Türkei, aus Ex-Jugoslawien und später aus Polen im Akkord die Kleidung, die als typisch österreichisch angesehen wird. Als dann die Produktionsstätten in Billiglohnländer verlagert wurden, standen viele Frauen vor dem Nichts. Doch ihre Finger blieben verkrüppelt.
Wenige Kilometer flussaufwärts, in Lauffen, wurde eine Art Kanal neben der dort wilden Traun errichtet – und ein Unterstand aus Holz. Man geht achtlos daran vorbei. Doch Fariba Mosleh hinterfragte die Bedeutung des „Fluderhauses“: Für ihre Soundinstallation sprach sie mit alten Frauen, die dort auch bei Wind und Wetter ihre Wäsche wuschen. Und so ergänzen nun arabische Gesänge das Getöse des Flusses.
Noch ein paar Kilometer weiter, in Hallstatt, bekrönt ein Fries mit Fotos von Künstlern und Architekten – nur Männer – den Ausstellungsraum der HTBLA. Just dort stellen Magdalena Stammler und Karin Hackl „Heldinnen der Provinz“ vor, darunter die Leiterin der Frauenberatungsstelle, eine Instrumentenbauerin und die Staatsmeisterin im Rollstuhltennis.
Am letzten Tag des Festivals, am 4. Juli, wird Stammler auch an einer Lesung teilnehmen – zusammen mit Lydia Haider, Barbara Rieger, Margit Schreiner und Gertraud Klemm. In ihren Texten beschäftigen sich die fünf Autorinnen mit Frauenschicksalen auf dem Land.
Die Veranstaltung findet im Sisipark von Ischl statt. Dort lässt Teresa Distelberger im Wortsinn kein Gras über die NS-Vergangenheit wachsen: Aus dem Boden ragen Möbel und auch ein Flügel heraus. Vor dieser Installation las Marie-Theres Arnbom am Samstag bei „Kaiserwetter“ aus ihrem Buch „Die Villen von Bad Ischl“: Sie erzählte über die Arisierungen jüdischer Immobilien, die Plünderungen durch die Bevölkerung und die Versuche, Restitutionen zu verhindern.
Distelberger rammte zudem an bedeutungsschweren Orten der NS-Zeit überdimensionale Stecknadeln in die Erde. Trotz ihrer Größe muss man sie mitunter wie im Heuhaufen suchen. Aber es lohnt sich, nach ihnen Ausschau zu erhalten. Denn im Knopf sind die Informationen versteckt – über die Leinenballen, die von der Wehrmacht in Frankreich erbeutet wurden. Über den Widerstand in der NS-Zeit. Oder über die Baracken für „Volksdeutsche“, die Gefangene des KZ Dachau 1942 in Bad Ischl, konkret in Roith, errichten mussten. Dort, im „Glasscherbenviertel“ außerhalb der Stadt, fand am Freitag die Eröffnung des Festivals statt.
Landeshauptmann Thomas Stelzer machte gute Miene, Bürgermeisterin Ines Schiller versprach nachhaltige Verbesserungen für das Areal mit den Wohnbauten rund um den Schlachthof.
Bei*Roither*Festspiele
Fariba Mosleh und Studierende der Kunstuniversität Linz haben bereits Vorarbeit geleistet und im Rahmen der „Bei*Roither*Festspiele“ mit viel Witz interveniert: Sie strichen eine Teppichstange golden, pflanzten einen Spalierbaum, bauten aus Kabeltrommeln einen Springbrunnen, bemalten das Trafohäuschen bunt. Den rund 120 Einwohnern taugte es sichtlich. Denn zum ersten Mal seit Menschengedenken fand hier eine Veranstaltung statt.
In Hallstatt, genau am anderen Ende der Region, die Intendant Airan Berg für das vazierende, alle zwei Jahre stattfindende Festival ausgesucht hat, findet man auch eine Stecknadel. Distelberger berichtet über das Schicksal von Else Bergmann, die Ehefrau des evangelischen Pfarrers. Sie war Jüdin. Im Februar 1945 erging der Befehl, sie zu verhaften. Die Nazis schienen eine Spur menschlicher zu sein: Sie kündigten die Deportation für den nächsten Morgen an. Else Bergmann konnte daher Selbstmord vortäuschen. Sie stapfte durch den Schnee zum See, legte ihr Gewand ab, ging in ihren Schritten zurück und verschwand mit der Identität ihrer Schwester, die sich 1933 tatsächlich umgebracht hatte, über die Berge.
Der britische Autor Christopher New schrieb über die Geschichte von Else Bergmann, seiner Schwiegermutter, einen Roman. Am 30. Juni werden Johannes Krisch und Larissa Fuchs aus diesem lesen – begleitet von Nikolai New, dem Enkel und Mitglied des Haydn-Quartetts.
Erzählungen der Flucht
Flucht vor dem NS-Regine thematisierte auch die Kolumbianerin Luisa Ungar: Sie erzählte die Geschichte ihrer Großmutter Lilly Bleier als choreografiertes Stationendrama – am Freitagabend bei strömenden Regen.
Zum Schwerpunkt gehört auch die Lesung von Klaus Maria Brandauer am 3. Juli: Er trägt Gedichte und Schlagertexte von Fritz Löhner-Beda vor, der 1942 im KZ Auschwitz ermordet wurde. Der Librettist hatte vergebens auf eine Fürsprache von Franz Lehár gehofft. Das Hofheater in Ischl war 1940 von den Nazis nach dem Komponisten benannt worden. Heute ist es ziemlich ramponiert. Im Rahmen des Festivals der Regionen kann man es besichtigen. Denn im Zuschauerraum hat Florian Nitsch eine fünf Meter hohe Skulptur aufgebaut.
Beim Festival der Regionen sind also auch Männer involviert. Es geht um Overtourism in Hallstatt, den Klimawandel samt dem Schmelzen des Dachsteingletschers, den Missbrauch an Schülern im Stephaneum von Bad Goisern und vieles mehr. Die stärksten Zeichen aber setzten die Frauen.
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