"Ich bin kein Lehrer und kein Missionar"

Ferdinand von Schirach über sein neues Buch "Tabu", kriminelle Energie und die Jagd.

KURIER: Wie sind Sie auf die Idee für Ihr neues Buch "Tabu" gekommen? Was hat den Anstoß gegeben?
Ferdinand von Schirach: Ich habe selbst Synästhesie, also mein Gehirn koppelt verschiedene Wahrnehmungen "falsch" miteinander. Buchstaben und Gerüche "sehe" ich als Farben und meine Erinnerung an Ereignisse ist auch mit Farben verbunden. Ich dachte mir, dass es vielleicht interessant wäre, eine Figur in einem Roman das erleben zu lassen. Als großes Thema ging es mir um die Frage, was Wahrheit und was Wirklichkeit ist, und ob Kunst und Strafjustiz nicht das gleiche Ziel haben.

Sie sind von Berufs wegen ständig mit Verbrechen konfrontiert, hat das Schreiben Ihrer Bücher irgendeinen therapeutischen Nutzen?
Ich hoffe nicht.

Wie viel kriminelle Energie steckt in Ihnen selber?
Gott-sei-Dank wissen wir von uns selbst nicht, ob wir eines Tages ein Verbrechen begehen werden. Mir scheint das, wie den meisten Menschen, eher unwahrscheinlich. Ich kenne auch den Ermittlungsrichter, der für mich zuständig wäre - das ist schon eine große Abschreckung.

Auch Ihr neues Buch "Tabu" spielt zunächst wieder in einem eher großbürgerlichen Umfeld. Kennen Sie sich in diesem Milieu am besten aus?
Ich bin so aufgewachsen, ja.

Worin besteht in Ihrem Buch genau das Tabu?
Es sind viele Tabubrüche in dem Buch. Ein Selbstmord in der Familie, der Beginn der Pornographie, der mögliche Geschwisterinzest, der Mord, der Verstoß gegen das Folterverbot, und vor allem, das große gesellschaftliche Tabu: Dass wir in Wirklichkeit nicht in Sicherheit sind.

Welche Fragen beantworten Sie sich selbst mit Ihren Büchern, speziell jetzt bei „Tabu“?
Bücher sind hoffentlich klüger als ihre Autoren. Ich bin kein Lehrer und kein Missionar. Ich möchte einfach, dass dieses Buch gelesen wird - die Schlüsse oder die Antworten muss jeder selbst finden.

Verfremdet

Wie viel Sebastian von Eschburg, der Hauptfigur, steckt in Ferdinand von Schirach?
Man schreibt immer von sich selbst, es geht ja gar nicht anders. Aber natürlich ist das alles verfremdet und nur in kleinen Teilen, Bildern und Erzählungen meine Biographie. Das ist bei Sebastian von Eschburg so, aber auch bei dem Anwalt Konrad Biegler.

Erkennen Sie als Anwalt die Weggabelungen, an denen aus normalen Menschen Verbrecher wurden, an denen sie besser umgekehrt wären?
Natürlich gibt es Muster. Aber meistens erkennt man sie als Betroffener nicht.

Wie stark beeinflusst Ihre berufliche Tätigkeit und der Umgang mit Schwerverbrechern Ihr eigenes Leben?
Ich versuche meinen Beruf als Strafverteidiger von meinem Privatleben zu trennen. Meistens gelingt das ganz gut. Als Schriftsteller ist das nicht möglich - man arbeitet in seinem Kopf immer an einem Text.

Wird man in seinem eigenen Umfeld durch diese Tätigkeit zum Exoten vor dem man sich womöglich auch ein bisschen gruselt? Oder können die Leute das gut trennen?
Gegruselt hat sich hoffentlich noch niemand vor mir. Aber ich bin kein Gesellschaftsmensch. Ich gehe auf keine Fest, große Abendessen sind mir zuwider, ich meide Menschenansammlungen, ich spiele kein Golf und bin in keinem Verein. Die meisten Hobbys finde ich albern. Ich lese lieber oder gehe spazieren.

Es heißt in jedem Polizist steckt auch ein Räuber und umgekehrt, ist da etwas dran?
Das kann ich nicht beurteilen, glaube es aber nicht. Mir scheint das eher die Idee von Krimis zu sein.

Sind Sie selber auch Jäger? "Tabu" ist nicht das erste Buch in dem Sie mit waidmännischen Kenntnissen aufwarten können.
Ich bin als Kind sehr viel auf die Jagd gegangen. Ich mochte das Schießen nicht, aber die Stimmung morgens, wenn alles regennass, weich und dunkelgrün ist, habe ich geliebt. Einen Jagdschein habe ich nie gemacht, das fand ich lächerlich.

Verführt der ständige Umgang mit Kriminalität nicht dazu, innerlich zuzumachen, um nicht zu betroffen zu sein?
Man muss immer distanziert sein, um verteidigen zu können.

"Verhaltenes Mittun"

"Ich bin kein Lehrer und kein Missionar"

Sind Sie gern allein?
Zuhause sind die Räume stiller, der Café besser und keine Unterhaltung ist nötig. So schrieb es Gottfried Benn in dem Gedicht: "Was schlimm ist".

Schreiben Sie schon an einem neuen Buch? Oder planen Sie eines?
Im Moment bin ich ein wenig erschöpft. Also mal sehen, was als nächstes kommt.

Wird es neue Verfilmungen geben?
Im nächsten Jahr laufen einige Folgen von "Schuld" als Serie im ZDF und es wird an weiteren Kinofilmen gearbeitet. Auch die Filmrechte von „TABU“ werden gerade verhandelt.

Info: "Tabu" von Ferdinand von Schirach erscheint am 11. September bei Piper. Ebenfalls ab 11. erhältlich ist das Hörbuch, gelesen von Matthias Brandt (Hörbuch Hamburg)

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