Fassaden bröckeln, und die Moral geht baden
Starkes Kabarett ist wie Hochwasser. Beide spülen die Fassaden weg. Wie "Tendenz steigend" zeigt. Der Hochwassermonolog von Sigi Zimmerschied hatte Donnerstag Österreich-Premiere im Niedermair und ist nach den ausverkauften weiteren zwei Terminen wieder im Jänner 2016 im Stadtsaal zu sehen. Zimmerschied bot verbal Gepfeffertes. Deftig, irritierend, intensiv.
Das 15. Solo der Rabiatperle unter den Kabarettisten ist eine Variation auf: Erst kommt das Fressen, dann die Moral. Denn Katastrophen machen die wahren Wesenszüge von Menschen oder einer ganzen Gesellschaft sichtbar. "Da genügen ein paar Flüchtlinge, und schon tauchen wieder altbekannte Feindbilder und Verhaltensmuster auf, die man längst überwunden geglaubt hat", sagt der Passauer, selbst Opfer der Flutkatastrophe im Juni 2013.
Die Frage ist: Wie reagiert der Mensch in der Katastrophe? Wie brüchig ist sein Weltbild? "Tendenz steigend" erzählt eine Hochwassergeschichte und zeichnet zugleich das Sittenbild einer Gesellschaft, deren humanistisches Wertesystem im Schlamm versinkt.
Bizarre Typen
Schon in seinem letzten Solo "Multiple Lois – Einwürfe eines Parasiten" hat Zimmerschied einen Karrieristen vom Typus "Herr Karl" verkörpert, der sich locker durchs Leben trickst. Jetzt ist es wieder ein Opportunist, eine Figur ohne Haltung, deren Moralität, Lebensbild und Glaube steht und fällt mit dem Wasserstand.
Zimmerschieds Typen sind bizarr: Der Cyber-Kalif. Oder die mit den zwei Gesichtern. "Das eine halten sie in die Kamera, auf dem anderen sitzen sie." Oder der "Ich-schwache Karrierist" mit drei Dutzend Apps am iPhone. "Depp bleibt Depp." Ob "Facebook, Twitter oder Posting", so die vom Publikum heftig akklamierte Conclusio. "Wer das für einen sozialen Fortschritt hält, ist intellektuell auf dem Niveau von Fliegen. Die halten nämlich auch jeden Scheißhaufen für eine Kommunikationsplattform."
KURIER-Wertung:
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