Der Moment des Todes dauert lang. In einem rund 45-minütigen Monolog analysiert die trockene Alkoholikerin Christine ihr Leben und das Erleben einer tödlichen Gehirnblutung im Supermarkt.
Dann beobachtet Simon Stephens im Drama „Am Ende Licht“, 2019 in Manchester uraufgeführt, ihre Familie im Alltag. Und der ist so banal wie die Dialoge.
Bernard, der Ehemann der Verstorbenen, trifft sich mit zwei Frauen, eine davon seine Langzeitgeliebte, im Hotelzimmer mit Himmelbett zum Liebesspiel.
Tochter Jess wacht nach einem One-Night-Stand neben einem Mann auf, an dessen Namen sie sich nicht mehr erinnern kann.
Die andere Tochter, Ashe, schickt ihren Ex-Freund und Junkie Joe in die Wüste.
Und Steven, der jüngste der Geschwister, ist im Beziehungsknatsch mit seinem Lover Andy. Während die tote Mutter immer wieder durch die Szenen geistert.
Verhaltensoriginell sind sie alle. Und Chaos ist überall. Die Gefahr des Scheiterns. Entfremdung. Existenzielle Krise. Was „Am Ende Licht“ zeigen soll, ist der Funken Hoffnung, dass ein unsichtbares Band über Tod und persönliche Schicksalsschläge hinaus zusammenhält.
Verfremdung
Lilja Rupprechts Regiedebüt am Burgtheater setzt auf groteske Akzente im tragikomischen Spiel. Die Figuren stecken in Strumpfmasken und tragen ausgefallene Perücken. Ihre Gesichter erscheinen oft im Closeup auf Video-Screens. Und zwischendurch fällt Regen sturzflutartig vom Bühnenhimmel.
Das Sozio-Psychogramm einer Mittelschichtsfamilie nahe am sozialen Absturz, in dem jede und jeder am Ego-Trip nur an sich selbst denkt, wirkt wie eine Bühnen-Soap.
Die schräge Familie voll Wut, Misstrauen, Überforderung wird vom Ensemble im Ping-Pong-Spiel mit Nähe und Distanz über lange zweieinviertel pausenlosen Stunden exzellent gespielt.
Wandlungsfähig zwischen real und irreal zeigt sich Dorothee Hartinger als durch die kurzen ineinanderlaufenden Episoden geisternde Mutter-Figur in ihrer Collage aus Lebensbilanz, Geständnis und Schrammen an der Seele.
Marie-Luise Stockinger als Jess spricht mit vielen Stimmen, hat mit Skepsis ihre neue Liebe ständig im Visier, und findet Sex am Friedhof interessant.
Max Gindorff knallt Andy (Bardo Böhlefeld) mit Verve die Wut der Verletzung um die Ohren. Norman Hacker ist erotischer Abenteurer und Melancholiker in einem und muss ständig essen, um diese Welt noch auszuhalten.
Die einen wollen fliegen. Andere unsichtbar werden. Dazwischen liegt ein Universum. In dem wird der psychodynamische Störfall in Variationen durchexerziert.
Aber dem Familien-Desaster, in dem alle aneinander vorbeiwandeln oder aufeinanderprallen, traut zumindest der britische Autor, ein Optimist, ein Happy End zu. Das Premierenpublikum applaudierte herzlich.
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