Falsche Zungen mit Augen
Literaturkritiker und Buchhändler haben Brigitta Falkners "Strategien der Wirtsfindung" zum zweiten Mal an der Spitze der ORF-Bestenliste gewählt.
Es ist ein so eigenartiges Buch. So einzigartig. Poesie setzt sich in den Naturwissenschaften fest. Eine Symbiose aus Text und Bild entsteht. Derart viel Hässliches kommt gekrabbelt – und so schön ist das. Sogar die Milben. Die Pseudoskorpione. Ein Flechtling flieht zwischen Bücherstapeln ...
Stummelflügel
Oder nehmen wir die parasitäre Assel Cymothoa exigua:
Die Larve schwimmt im Wasser, ein Fisch atmet sie durch die Kiemenspalten in die Mundhöhle. Die Assel hält sich am Zungengrund fest, sie hat ja Klauen, und saugt dem Fisch das Blut aus der Zunge. Die Zunge stirbt ab. Der Parasit wächst, wird drei Zentimeter lang, übernimmt die Funktion der Zunge.
Man erkennt, dass es eine falsche Zunge ist – am Augenpaar, das aus dem Fischmaul schaut.
Eine der vielen Strategien der Wirtsfindung. Die Wiener Künstlerin Brigitta Falkner, 57, erzählt und zeichnet es. Macht aus dem "trommelschlegelförmigen Stummelflügel" einer toten Stubenfliege ein Gedicht.
Entdeckt einen Riesenohrwurm und Stinkwanzen; und hat es gar nicht so gern, wenn sie selbst entdeckt wird.
In aller Ruhe will sie weiterarbeiten.
Von Ernst Jandl weiß man heute: Er mochte keine Hunde, und "Ottos Mops" hat er wegen der vielen OOO geschrieben. Nur an ihnen war Jandl interessiert.
Wie ist Brigitta Falkners Verhältnis zu Parasiten? "Mein ,Verhältnis’ zu ihnen ist vermutlich nicht ganz so innig wie Jandls Verhältnis zum Vokal ’o’", sagt sie im KURIER-Gepräch.
"... und auch weniger geprägt von der Liebe zur Schönheit als von ästhetischer Neugier und der typisch haltlosen Begeisterung eines wissenschaftlichen Laien für das Hybride und das Monströse."
Insekten als perfekte Maschinen zum Beispiel. Oder Hyperparasitismus = wenn der Parasit zum Wirt eines anderen Parasiten wird, der widerum selbst parasitiert wird und so weiter.
Daraus entstehen – ihre eigenen Worte – infektiöse Reime und eine zum Teil parasitäre Literatur – wenn die Rafflesia ausschließlich in Zitaten beschrieben wird.
Das ist eine Pflanze, die keine Wurzeln hat und keine Blätter, aber riesige Blüten auf einem Geflecht, das sich voll schmarotzend an Bäumen im Regenwald räkelt.
Alexander von Humboldt notierte 1828: "Sie prangt mit der schönsten rothen Farbe und hat einen wunderbar auffallenden Geruch nach gekochtem Rindfleisch."
Das ist bereits Poesie, die man wiedergeben muss.
Brigitta Falkner:
„Strategien der Wirtsfindung“
Mit 200 Bildtafeln.
Verlag Matthes & Seitz.
204 Seiten.
39,10 Euro.
KURIER-Wertung: *****
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