Die Innovation von einst ist die Belästigung von heute. Der süßlichen Überall-Beschallung in Hotels und Toiletten entkommt man kaum.
Wobei als Urvater der musikalischen Dauerschleife der Komponist und skurrile Eigenbrötler Erik Satie gilt, dessen Klavierwerke Titel wie „Wahrhaft schlaffe Präludien für einen Hund“ oder „Melodien zum Davonlaufen“ tragen.
Der Franzose kreierte – inspiriert von Tapetenmustern – die stark repetitive „Musique d’ameublement“ und erntete für seine Musik, die einen Raum möbliert, Anerkennung als auch Spott.
Als sein Nachfolger sah sich der englische Popmusiker Brian Eno, der in den 1970er-Jahren den Begriff „Ambient music“ prägte: Seine „Musikmöbel“ im Off sollte dem Hörer in betriebsamer Umgebung, an öffentlichen Plätzen, Bahnhöfen, Flughäfen Raum zum Denken und Ausruhen schaffen. Funktionelle Musik, die nichts mehr will als nur nicht auffallen. Oder gar stören. Im besten Fall „Easy Listening“. Oder eine lauwarme „Smooth-Jazz“-Dusche der Art, wie sie Puristen eher verachten.
Andererseits haben sich die Alben von Chet Baker, Freddy Hubbard oder des Gitarristen Wes Montgomery millionenfach verkauft. Ehe das R&B-Soul-Jazz-Gebräu mit Earl Klugh, Bob James oder Kenny G noch wässriger wurde.
Nur noch getoppt vom Briten Komponisten Max Richter, der 2015 „Sleep“ veröffentlichte, acht Stunden Musik gedacht zum, genau: schlafen. Mittlerweile hilft auch eine rezeptfreie Sleep-App beim Einschlummern.
Dabei soll schon Johannes Brahms, wie in einer boshaften Anekdote überliefert, sieben Jahre an seinem berühmten Wiegenlied komponiert haben, weil er dabei am Piano immer wieder einnickte. „Was ist eigentlich schlimmer?“, fragte sich ein Kritiker des Rolling Stone und benutzte den verbalen Baseballschläger bei der Rezension des Albums „Bussi“ (2015) der Wiener Band Wanda.
„Die grausame Fahrstuhlmusik zum Schafott des guten Geschmacks oder das am Marketing-Reißbrett zusammengefakte Plastik-Image der Band, das irgendwo zwischen Wiener Zuhälterromantik, Tinder-Profilfoto-Elend und professionellem Autodrom-Einparker-Chic herumkrebst? Man weiß es nicht.“
Den Wunsch nach allgegenwärtiger Musik, Smartphones erfüllen ihn heute – und die von den Streamingdiensten vorgegebenen Playlists. Spotify, Deezer und Apple Music animieren mit Chill-Klangteppichen zum Dauerkonsum. Die Entspannungs-App Endel kreiert personalisierte Klangwelten zum Schlafen.
Diese Funktion erfüllt auch der Pianist Ludovico Einaudi, dessen Sounds ganz ohne Ecken und Kanten täglich zwei Millionen Mal gestreamt werden. Der Italiener ist mit Musik wie Wohlfühltee für die Ohren der Millennials sozusagen der Erfinder jenes Streaming-Phänomens, das man als Neoklassik bezeichnet.
Nur um einmal die Dimensionen zurechtzurücken: Gut drei Milliarden Streams werden für Einaudi berichtet. Bei Spotify hat er 15 Mal so viele Follower wie sein Klavierkollege Lang Lang.
„Seven Days Walking“ war jüngst eine Album-Serie über das Gehen in der Natur. Der Klang für die Umweltachtsamen zum Baum-Umarmen. Oder „Musik zum Waldbaden“, wie es die Welt nannte. Die maximal minimalistischen Töne, scheinbar angestimmt aus hochgradiger Antriebslosigkeit, erreichten international die Spitzenplätze der Klassikcharts.
Womit die Hintergrundmusik offensichtlich in den Vordergrund gerückt ist.
Kommentare