Escape-Room im MuseumsQuartier: Flucht ist kein Spiel. Aber Kunst?
Deborah Sengl gestaltete einen „Escape Room“ auf Basis der Erfahrungen Geflüchteter
29.10.19, 05:00
Ein Schachbrett, einige Koffer, dazu ein Fernseher, der auf einem Kasten mit seltsam gemusterten Türen steht: Wer ein „Escaper“ ist, sagt Deborah Sengl, wird diese Anordnung sofort als Aufforderung zum Rätsellösen verstehen. Die Künstlerin bekennt, dass sie eine Zeitlang selbst intensiv in die Szene eingetaucht ist und alle verfügbaren Escape Rooms in Wien durchprobiert hat: Oft als Zwischennutzung für Leerstände installiert, haben sich die Raum-Arrangements, die nur durch die Lösung kniffliger Aufgaben wieder zu verlassen sind, zu einem globalen Phänomen gemausert.
Dass jetzt im ehemaligen „math.space“ des Wiener MuseumsQuartiers ein Escape-Room steht, war zunächst gar nicht geplant. Sengl, die in der Kunstwelt für ihre eindrucksvollen, oft mit Hilfe eines Tierpräparators angefertigten Mensch-Tier-Chimären bekannt ist, hatte die Idee 2015 ohne Hoffnung auf Umsetzung festgehalten: Den Anstoß, sagt sie, gab die Flüchtlingskrise und die Empathielosigkeit, die viele Menschen damals an den Tag legten.
Kein Flucht-Simulator
Die damals von Sengl konzipierte Raumfolge, die nun im MuseumsQuartier in die Realität umgesetzt wurde, kreist zwar um das Thema Flucht – sie als eine Flucht-Simulation zu sehen, wäre aber ein großes Missverständnis, wie Sengl wiederholt betont. Ein Versuch, Empathie zu schaffen, ist das Projekt aber. Und als solches berührt es eine Frage, die sich im Journalismus, in der Kunst und in der Welt virtueller Realitäten immer wieder stellt: Wie nahe können, wie nahe wollen wir Menschen und ihren Schicksalen kommen? Gibt es so etwas wie eine adäquate Distanz zur Welt?
So wie geübte „Escaper“ im ersten Raum gleich die Rätsel erblicken, können gelernte Kunstbetrachter „Escape!“ als eine Ausstellung sehen. Ist die erste Hürde genommen, geht es in ein abgedunkeltes Labyrinth, in dem Exponate in Vitrinen und in Bilderrahmen zu sehen sind. Sie „interesselos“ zu betrachten, mag aber angesichts der mitgelieferten Geschichten nicht recht gelingen: Da ist das Hemd, das ein Geflüchteter als einzigen greifbaren Gegenstand von seinem Bruder mitbekam; das Bild des Bergpasses an der türkisch-iranischen Grenze, der bei bitterer Kälte überschritten werden musste; das Paar Kalligrafiestifte, das eine Syrerin als einzigen Gegenstand, der nicht dem nackten Überleben diente, bei sich führte.
Neutral sein geht nicht
Nein, als „Readymades“, wie dem Alltag entnommene Gegenstände im Kunstjargon heißen, funktionieren diese Objekte nicht, zu viel persönliche Geschichte haftet ihnen an. Sengl führt den Blick auch besonders nah an die Dinge, weil sich in Spielerperspektive Hinweise auf den Ausweg aus dem Escape-Room in den Exponaten verbergen könnten. Keine Perspektive aber, weder die involviert-spielerische noch die distanziert-ästhetische, fühlt sich ganz „richtig“ an. Und diese Frustration erfüllt einen Zweck: Es bleibt das Gefühl, das hier verhandelte Thema nicht abhaken zu können.Im weiteren Verlauf der Tour, deren Dauer auf rund eine Stunde angelegt ist, holt Sengl die „Escaper“ – der Begriff „Spieler“ erscheint ebenso inadäquat wie der Begriff „Besucher“ – noch in zwei weitere Raumkonstellationen. Einmal wird die Situation im Ladecontainer eines LKWs simuliert, was heftige Assoziationen zur Tragödie in Parndorf 2015 und zuletzt in England weckt. Ein anderes Mal finden sich die „Escaper“ in einem Warteraum wieder. Die Dauer des Aufenthalts ist kaum abzuschätzen – Wartenummern verheißen nichts Gutes. In der Unsicherheit tauchen Personen auf einem Videoschirm auf und starren die Besucher an: So fühlt es sich an, plötzlich kritisch gemusterter Bittsteller zu sein.
Sengl wünscht sich, auch kunstfernes Publikum mit „Escape!“ zu sensibilisieren. Angesichts des Medienwandels wirft sie aber die Frage auf, was Menschen überhaupt sensibilisiert: Neben die distanzierte Perspektive des Kunstbetrachters oder Buchlesers ist die Perspektive des Erlebens und Spielens in echten und virtuellen Räumen getreten. Eine einzelne Dimension als besonders erkenntnisreich zu bezeichnen, ist schwierig: Wie Sengls Escape-Room zeigt, können Kunstprojekte unmittelbar sein, ohne dass die ernsthafte Reflexion zu kurz kommt.
Info: Das Projekt und wie man es besucht
Deborah Sengl, 1974 geboren, stellt seit 20 Jahren im In- und Ausland aus. Eines ihrer Markenzeichen sind Tierwesen, die sie mit der Konsumkultur, aber auch mit literarischen Vorlagen in Zusammenhang bringt. Für „Escape!“ tat sich Sengl mit dem Verein „Fremde werden Freunde“ zusammen, der ihr den Dialog mit Geflüchteten ermöglichte. Für die Abwicklung kooperierte sie mit dem Escape Room-Anbieter „Time Busters“.
„Escape!“ kann in Gruppen von 4 bis 8 Personen ab 14 Jahren absolviert werden, pro Person kostet der Besuch 26 €. Ein Euro davon kommt „Fremde werden Freunde“ zugute, der Verein bietet auch spezielle Vermittlungsangebote rund um den Escape Room an. Termine müssen vorab gebucht werden: www.mqw.at/ihr-besuch/escape/
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