„Auf Hunderten von Seiten geschieht nichts. Es werden nur Menschencharaktere geschildert und Gespräche geführt“, schreibt die Arbeiter Zeitung 1908. „Alles Geschehen ist ein bloß innerliches.“
Arthur Schnitzler selbst hatte im Interview bei einem Spaziergang im Türkenschanzpark gesagt, dass er in „Der Weg ins Freie“ die „Beziehungen gegenseitiger Wiener Schichten und sozialer Gruppen darzustellen versucht“ habe.
„Ich liebe diesen Roman“, sagte Susanne F. Wolf im KURIER-Gespräch. Für die Josefstadt hat sie – nach Ernst Lothars „Der Engel mit der Posaune“ (2017) – eine Bühnenfassung dieser von Tragik und Egozentrik überschatteten Künstler-Liebesgeschichte erstellt.
Sechs Uraufführungen der Autorin und Librettistin wurden im Pandemie-Jahr 2020 abgesagt oder verschoben. Immerhin kommt jetzt u. a. ihr biografisches Schauspiel „Marie Curie“ in Bayern auf die Bühne, außerdem Elena Kats-Chernins Kinderoper „Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer“ nach Michael Ende mit ihrem Libretto in einer Neuinszenierung an der Komischen Oper Berlin.
Gesellschaft im Porträt
Auf „Der Weg ins Freie“ müsse man sich einlassen, so Wolf. „Der Roman kommt nicht mit einer großen Wirklichkeit daher, sondern es ist ein sehr melancholisches und sehr leises Buch, in dem viele Dimensionen zu finden sind.“
Vielen Zeitgenossen Schnitzlers galt seine personenreiche Schilderung der Wiener Gesellschaftskreise um 1900 als skandalös. Hugo von Hofmannsthal verabscheute das Buch ob seiner Indiskretion. Dabei erscheint die Geschichte zunächst trivial: Der junge, talentierte Komponist Baron Georg von Wergenthin verliebt sich in die kleinbürgerliche Klavierlehrerin Anna Rosner, steht aber aus Standesdünkel in der Öffentlichkeit nicht zu ihr und denkt auch nicht an Heirat.
Als Anna ein totes Kind zur Welt bringt, ist er betroffen, nimmt aber kurze Zeit später ein Engagement in einer deutschen Kleinstadt an und trennt sich von Anna wohl für immer.
„Es ist für mich faszinierend“, sagt Wolf, „wie Schnitzler, der keinen einfachen Umgang mit Frauen gepflegt hat und wohl auch kein angenehmer Partner war, doch der subtilste Schilderer von Frauenfiguren ist.“
Dazu kommt in „Der Weg ins Freie“ die politische Dimension. Schnitzler schildert, was in Wien passiert. Karl Lueger kommt an die Macht. Da kündigen sich bereits die Brutalität des Antisemitismus der 30er-Jahre und der aufkommende Nationalismus an.
Und die Künstlerdebatte dreht sich um die Fragen: Was vermögen Künstler? Wie drehen sie sich um sich selber? Wie ringen sie mit der Welt und ihren Talenten?
Das Gestern im Heute
„Ich wollte einen wienerischen Tanz der Einsamkeit zeigen vor der Folie zunehmender politischer Radikalisierung“, sagt Wolf. „Das ist natürlich ein historisches und historisierendes Gesellschaftsbild, das aber trotzdem viel mit dem Heute zu tun hat und erstaunlich aktuell ist. Letztlich ist es ein Spiel verirrter Seelen, eine Paraphrase über Liebe, Verantwortlichkeit, Künstlertum und Lebensverankerungen.“
Dieser Irrsinn sei das Spannende, diese „Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen“, die für den Philosophen Ernst Bloch ein Kennzeichen der Moderne war. „Dass alles parallel gärt. Die einen verschrieben sich dem Nationalsozialismus. Andere versuchten, die Gesellschaft durch die Sozialdemokratie aufzurütteln“, so Wolf. „Es bricht ungeheuer viel auf. Und alle suchen verzweifelt nach Antworten. Genauso wie wir heute nach Antworten suchen.“
Und wo stand Schnitzler? Eher auf der Position der von Raphael von Bargen verkörperten Dichter-Figur Heinrich Bermann, der sagt: „Man kann in der Verachtung der Politik nicht weit genug gehen!“
Kommentare