Ernst Molden gibt Silberfischerln fünf Sekunden Vorsprung

Ernst Molden gibt Silberfischerln fünf Sekunden Vorsprung
Der Wiener Musiker schrieb als „lokalzoologischer Privatgelehrter“ ein Buch über kleine wilde Tiere.

Ernst Molden (Foto) wollte Zoologe werden.
Seine Mutter, die Autorin  Hanna, und sein Vater, der Verleger Fritz, waren vielbeschäftigt und selten daheim in der Döblinger Villa – Ernst Molden widmete sich allein im großen Garten den kleinen wilden Tieren.
Es kam anders. Ernst Molden wurde zuerst Reporter, dann Musiker, Dichter auch ... aber das Interesse blieb. Nicht für Bären und Elefanten und die anderen Großen, sondern für „das Nischenviech“ – so heißt sein Buch, das Anfang nächster Woche erscheint.
Er erzählt von Spinnen, von Fröschen, wie man sie mit den Händen fängt, von  Schlangen – und ...

KURIER: Haben Sie noch Silberfischerln daheim?
Ernst Molden:
Die Silberfischerln kommen und gehen wie die Gezeiten. Sie stoßen in Lücken, die wir ihnen öffnen. Da braucht nur das Klofenster zum Lichthof offen sein, es regnet ein paar Tropfen herein, eine Spur Lurch dazu hat man  immer daheim, und schon sind die Silberfischerln da. Gern
 unter meinen Gitarrenfachzeitschriften. Wenn ich sie entdecke, hab ich mir an-
gewöhnt, sie nicht gleich zu  erschlagen, sondern Licht
 zu machen, zu sagen: „Schleichts euch!“ und ihnen fünf Sekunden Vorsprung zu geben.

 Finden Sie Asseln tatsächlich spannend?
Mauerasseln sind total spannend. Ein Bauplan aus der Urzeit, Überlebenskünstler, Kampf- und Fressmaschinen. Aber ich muss sagen, ich hab noch nie über ein Viech recherchiert und nachher gesagt: Das ist aber fad!


Wie darf man sich Ihr zärtliches Verhältnis zu Spitzhornschnecken vorstellen?
Das wurzelt in der Kindheit: Damals hatte ich Aquaterrarien mit Molchen und anderen Amphibien zu Hause. Irgendwann hab ich mir  mit ein paar Wasserpflanzen auch Schneckenlaich eingefangen und dann begeistert bemerkt, dass mir die Spitzhornschnecken die immer sehr versifften Innenflächen der Glasscheiben geputzt haben. Seitdem mag ich sie. Wenn ich beim Baden in der Lobau eine am Schilfhalm hocken sehe, nehme ich sie heraus, bestaune sie und flüstere ihr etwas Verbindliches zu. Dann schmeiß ich sie hinein.

Kann man cool sein und sich über eine pelzige Motte freuen?
Jedes Tier, das es schafft sich auf der Welt neben uns zu behaupten, verdient Respekt. Auch die Motte. Und wenn man die Tatsache, dass so eine Motte vielleicht einen halben Quadratzentimeter Kamelhaarmantel ruiniert, mit unseren eigenen Destruktionen vergleicht, geht sich das alles wieder aus.

 Als Kind wollten Sie Zoologe werden. Was genau kam Ihnen dazwischen?
John Lennons Tod. Die Beatles. Gitarren, Musik, Poesie. Aber ich bin in Verbindung geblieben. Jetzt bin ich immerhin sowas wie ein lokalzoologischer Privatgelehrter, der halt auch musiziert.

 Wie wichtig ist es, gerade für einen Stadtmenschen, ein Auge für die „Nischenviecher“ zu haben? Macht das etwas mit den Leuten?
Menschen wie ich, Großstädter, müssen Meisterschaft im Miteinander entwickeln. Aber obwohl man sich entschieden hat, ganz nah bei ganz vielen anderen Leuten zu leben, gehen die einem manchmal auf die Nerven. Da hilft es, umzufokussieren: Turmfalke, Tauberl, Mauersegler, Kanalratz. Irgendein Viech ist immer in der Nähe, über, unter, neben oder auf uns. Ich bin da schon sehr dankbar dafür.


Ernst Molden: „Das Nischenviech“
Illustriert von
Helmut Pokornig.
Deuticke Verlag.
176 Seiten.
20,60 Euro.

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