Ernst Molden: Des Tiafe und die Poesie
Kurz vor Ende des Stücks „Mayerling“ fällt im Rabenhof der Vorhang, nein, das Stück ist nicht aus, aber die Band, die bis dahin bloß als Schattenriss hinter dem transparenten Schleier zu sehen war, greift plötzlich im vollen Licht der Bühnenscheinwerfer in die Saiten.
Das ist ein verdienter Schlussgag, den sich Regisseur Thomas Gratzer da ausgedacht hat: Denn das Stück ist trotz der fabelhaften Schauspieler und der knackig inszenierten Handlung eine ziemlich ungefilterte Ernst-Molden-Show. Molden hat die Dialoge geschrieben und die Pointen, vor allem aber die Lieder, um die herum sich „Mayerling“, das Stück, ausbreitet: schöne, melancholische Moldensongs, deren solide Soundbasis die Moldenband aus dem Rückraum der Bühne zuliefert, während vorne im Rampenlicht Michou Friesz, Manuel Rubey, Eva Maria Marold, Gerald Votava und Christoph Krutzler ihre Auftritte haben.
Durcheinander auf der Bühne
Es gibt viel Applaus und ein ziemliches Durcheinander auf der Bühne, als Band und Ensemble sich zu den verdienten Verbeugungen zusammenfinden. Molden wird von den Hauptdarstellern verdientermaßen in die Mitte genommen und bekommt besonders herzliche Akklamationen, und man könnte davon ausgehen, dass der Abend für alle Beteiligten ein Spaß war, dass man jetzt an der Bar vielleicht noch ein Seidel Bier zischt und anschließend müde und zufrieden nach Hause geht.
7MVpFxKTyVIAber Ernst Molden hat keine Lust, nach Hause zu gehen. Zuerst räumt er noch akribisch die Bühne zusammen, aber dann steuern er und seine Gitarre schnurgerade die Garderobe an. Um Moldens Hals hängen glänzende Ketten und ein geheimnisvolles Amulett. Seine Musiker tragen den gleichen Schmuck. „Was bedeutet das Ding?“, frage ich Walther Soyka, der in der Molden-Band (wie in einigen anderen Formationen auch) die Knöpferlharmonika spielt. „Es bedeutet“, sagt Soyka bedächtig und exegetisch, „dass die Party nie aufhören soll.“ Das ist eine Religion, mit der ich mich spontan anfreunde.
Konzert mit Freunden
Molden sitzt schon in der engen Garderobe, in der etwa fünfzehn Leute hocken und rauchen, obwohl maximal acht hineinpassen und es keine Lüftung gibt, und sucht auf seiner Gitarre nach einer Melodie. Walther Soyka bringt seine Harmonika in Position und auch Hannes Wirth hat sich eine Gitarre organisiert.
Molden beginnt jetzt „Katharina“ zu spielen, seine Coverversion des Fixerklassikers „Carmelita“ von Warren Zevon. Soyka und Wirth finden sich augenblicklich hinein, die Sängerin Sibylle Kefer, die sich auf den Schminktisch gezwickt hat, setzt ihre zweite Stimme messerscharf über Ernst Moldens Refrain, der das „Tiafe“ zelebriert, wie es in Wien rund um den Karlsplatz grassiert. Im „Resslpark zu Wien“ ist es mit der Gemütlichkeit nämlich schnell vorbei, wenn man beim „Ganslwirten“ kein Methadon mehr bekommt und den „Notstand“ schon durchgebracht hat: „Katharina, hoid mi festa / weil mir scheint, mi hauds glei hin …“
Thomas Gratzer, der ja nicht nur Regisseur, sondern im Rabenhof auch Hausherr ist, bringt Wein, oder sagen wir: mehr Wein. Sammy Konkolits, der Besitzer des Rutschturms im Prater, den Ernst Molden auch schon einmal besungen hat, verteilt weitere Selbstgedrehte, und die Party in der Garderobe des Rabenhofs hebt glückselig ab.
Der Schlüssel zum Verständnis
Vielleicht ist das ein passender Schlüssel, um den Musiker Ernst Molden zu verstehen. Als ich Molden in den Achtzigerjahren kennenlernte, war er Lokalreporter bei der Presse und machte mit ziemlich tollen Reportagen auf sich aufmerksam. Ein paar Jahre später, da hatte er bereits seine ersten Romane herausgebracht, konnte ich ihn motivieren, die eine oder andere Geschichte fürs profil zu schreiben, wo ich inzwischen arbeitete. Er war schon damals, was man „einen Typ“ nannte. Das lag einerseits an der Familie, der er entsprang, aber nicht sehr. Klar, Moldens Vater Fritz war ein geradezu überlebensgroßer Österreicher, Zeitungsgründer, Buchverleger, Widerstandskämpfer, und Ernst musste eigenständige Dinge unternehmen, um als er selbst wahrgenommen zu werden und nicht als der Sohn vom Molden. Das erledigte er, indem er sich eine ausgewachsene Dandy-Attitüde zulegte, seine Auftritte als Dichter mit der Aura des Rotlichts imprägnierte und überhaupt nicht das tat, was man vielleicht als seinen logischen nächsten Schritt erwartet hätte. Von der Presse wechselte er als Dramaturg ans Wiener Schauspielhaus, und irgendwann in dieser Zeit fiel ihm ein, dass das Schreiben und die Bühne zwar interessant sind, aber das es noch etwas Interessanteres gibt, was zwar auch mit Schreiben und Bühne zu tun hat, aber darüber hinausgeht: die Musik.
Ernst Molden mit seinem Sohn Karl
Als mir Ernst Molden damals erzählte, dass er jetzt Lieder schreiben und eine Band zusammenstellen wolle, war ich, sagen wir, skeptisch. Schade um das Talent, dachte ich mir, und schade um die Geschichten, die jetzt nicht mehr geschrieben werden. Dass es Lieder geben könnte, die dafür mehr als entschädigen, hielt ich damals nicht für wahrscheinlich. Ich bin nicht stolz darauf, dass ich mich geirrt habe, aber umso glücklicher über das Ergebnis, dass hier einer die Arbeit übernommen hat, die Stadt Wien, ausgehend vom Zentrum Wien Mitte, mit eigenwilligen Popsongs zu kartografieren und damit ein ganz eigenes Genre zu prägen, egal wie das jetzt heißt: Wienerlied reloaded, Reloads wienerisch, Wiener Moldenlied, Moldens Wienerlied. Egal.
Am Anfang war die Kunstfigur
Moldens Anfänge als Sänger, dokumentiert auf den CDs „ Haus des Meeres“ und „Nimm mich, Schwester“, waren noch unentschlossen. Molden glaubte der Kunstfigur, als die er sich stilisierte, eine Spur zu viel und kombinierte hochdeutsche Dandyverse mit dem kaputten Vortragsgestus von Tom Waits. Aber schon seine „Bubenlieder“ legten Zeugnis davon ab, dass er die Form der Dreiminutengeschichte, die ein gelungener Song bekanntlich erzählen muss, tatsächlich beherrscht. Noch waren Moldens Auftritte selten und überschaubar. Im „Chelsea“ spielte er vor zehn Zuschauern, darunter sein Vater. Aber er bekam Zuspruch. Wiens Untergrund-Ikone, der Booker, Labelmanager und Musiker Rainer Krispel, eine dezidierte Instanz der Coolness, attestierte Molden „auch cool“ zu sein, und weil er nicht nur cool, sondern auch fleißig war, schrieb Molden unablässig neue Lieder. Im Musikmanager Charly Bader fand er einen Verbündeten, der ihn darin bestärkte, weiterzumachen. Walter Gröbchen, eine Instanz des neuen österreichischen Pops, hatte gerade das Label „Monkey“ gegründet und ermunterte Molden, seine neuen Songs auch aufzunehmen.
Spätestens als „Wien“, Moldens erstes Album bei „Monkey“, erschien, wusste ich, dass alle meine Zweifel unberechtigt gewesen waren. Die Songs waren noch auf Hochdeutsch geschrieben, wobei Moldens Hochdeutsch wie eine perfekt erlernte Fremdsprache klang: Der Wiener Dialekt, in dem er seine besten Lieder schreiben würde, bestimmte bereits den Sound der Texte, war aber noch nicht an die Oberfläche gestiegen, mit Ausnahme der wunderbaren „Hammerschmidgossn“, die als Bonus-Track die Zusammenarbeit Moldens mit dem großen Willi Resetarits vorwegnahm. Die Wien-Mitte-Hymne „St. Elisabeth“ ist mir noch heute lieb und teuer. Der Refrain feiert den abgerissenen Landstraßer Bahnhof, den Wiens Bürgermeister Helmut Zilk nicht zu Unrecht als „Rotznstadl“ bezeichnet hatte, und wenn Molden singt „Durch die Halle vom Bahnhof knattern die Tauben“, dann taucht vor meinem geistigen Auge das hässliche, tröstliche Blau der Bahnhofsfassade auf und sein Versprechen: „Hinterm Stadtpark endet die Welt.“
Größe der Wiener Musik
Dass Molden zur relevanten Größe der Wiener Musik aufstieg, hatte drei wesentliche Ursachen: Erstens wuchs er an der Seite von Willi Resetarits, mit dem er die Formation Molden Resetarits Soyka Wirth gründete, um mindestens einen halben Meter. Zweitens verlangte ihm die Zusammenarbeit mit Walther Soyka eine neue Stufe an musikalischem Können ab, das dieser von ihm forderte, aber ihm durch sein generöses Harmonikaspiel auch ermöglichte. Drittens begann Molden sich selbst und seinem Gefühl für Schmäh zu vertrauen und schrieb ein Lied nach dem anderen im Wiener Dialekt, wobei er absolutes Gehör für die Nuancen des Wiener Zungenschlags bewies. Er beherrscht den Döblinger ÖVP-Bürgersound genauso wie die etwas gröber gewirkten, aber nicht weniger reichen Sprachen Transdanubiens oder Favoritens, und als er die Musikalität dieser Dialekte verinnerlicht hatte, konnte er sie mit seinen poetischen Speichern kurzschließen.
Lieder wie „Di Blia“, „Sepdemba“ oder „Es eweche Lem“ sind ergreifende, zupackende Balladen. Sie vereinen dichterische Beobachtung und formale Brillanz mit dem Talent zur melancholischen, eingängigen Melodie. Andere Lieder erzählen kleine Abenteuer, leuchten mit vorgeschobener Fröhlichkeit die vergessenen Krümmungen des Toboggans oder die Aschenbecher des Café Malipop aus, nur um gleich wieder existenzielle Fragen nachzuschieben: Was wird aus uns werden? Wie sieht es auf dem Grund unserer Seele aus?
Die Suche nach dem Wienerlied
Diese Serie nennt sich die „Suche nach dem Wienerlied“. Würde man einen Musikologen fragen, dann wäre die Idee, Ernst Molden unter dem Dach des Wienerlieds willkommen zu heißen, schnell abgeschmettert. Einerseits natürlich zu Recht, denn Molden hat mit den kompositorischen Grundlagen des Wienerlieds wenig bis gar nichts zu tun. Die Fundamente seiner Lieder sind redlich ausgewiesen und anständig verzollt aus Amerika importiert. Sie schließen an die Tradition der großen Songwriter an, denen Molden mit wundervollen Coverversionen eh bei jeder Gelegenheit seine Referenz erweist: Bob Dylan, Johnny Cash, Gillian Welch und viele andere.
Aber gleichzeitig arbeitet sich kein ernst zu nehmender Singer-Songwriter aus Wien so intensiv an den Grundrissen dieser Stadt ab, an ihren pulsierenden Adern, mehr noch aber an ihren versteckten, wertvollen Zufluchtsorten, am St. Marxer Friedhof im Frühjahr, wenn der Flieder blüht, an der Prater Hauptallee, wenn ihr eine falsche Jahreszeit einfährt, am Heustadlwasser, wenn die Blüten der Kastanien und Akazien die Wasseroberfläche in eine Palette köstlicher Farben verwandeln. Wenn das keine Wienerlieder sind, dann gibt es keine Wienerlieder.
Ernst Molden nimmt einen Schluck Wein und wirft einen Blick in die Runde. Die Rabenhof-Garderobe ist mindestens so voll wie zuvor, nur sieht man nichts mehr. Der Rauch hängt im Raum wie der Nebel in einem Jack-the-Ripper-Film. Ein Akkord auf der Gitarre, und Molden singt jetzt die Geschichte vom „Madl aus der Lobau“, die auch Bob Dylan schon erzählt hat, nur dass sie bei ihm „Red River Shore“ hieß und nicht an der Raffineriestraße spielte. Gut, dass wir Ernst Molden haben, der diesen Gütertransport für uns erledigt. Gut, dass er ein Amulett um den Hals trägt, das dafür sorgt, dass die Party immer weiter geht.
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