Erdsee: Fantasy zum Nachdenken

 Erdsee: Fantasy zum Nachdenken
Nach Le Guins Tod sind alle Zaubergeschichten versammelt. (Bild: Ausschnitt einer Buchillustration von Charles Vess)

Bei Harry Potter genügte es völlig, dass Schüler und Lehrer in Hogwarts zaubern konnten. Die Engländerin Joanne K. Rowling schrieb darüber.
Keine Ahnung, warum die Amerikanerin Ursula K. Le Guin (1929 – Jänner 2018) vor allem im deutschsprachigen Raum weniger – nein, selten gelesen wurde.
Obwohl sie nicht nur Zauberer erschaffen hatte, sondern selbst eine große Magierin war.
Ab 1964 zog es Le Guin nach Erdsee. Sie hatte Skizzen ihres Inselreichs gezeichnet, ähnlich wie Tolkien in den 1940ern.
Am  Schreibtisch sitzend beherzigte  sie die Philosophie: „Im Gehen lerne ich, wohin ich gehen muss.“
Wenn jetzt, nur Monate nach ihrem Tod, alle sechs „Erdsee“-Bände im illustrierten Sammelband in die Buchhandlungen kommen, so könnte es sich dabei um das erste Weihnachtsgeschenk, das man kaufen geht, handeln. Ein nicht ganz billiges. Ein nicht leicht einzuordnendes: drei Teile für die Jugend? drei für Erwachsene? Jedenfalls eines, in dem man den ganzen Winter über versinken kann, bis die Vögel zurückkommen und ihre eigene Magie bringen.

Keine Weißen

Fantasy war für die Kalifornierin eine Art des Nachdenkens. Ihre Art, sich mit unserer Wirklichkeit zu konfrontieren.
Im von ihr erfundenen Land gab es keine Schlachten, kein einziger Soldat lebt auf Ahuan, Havnor, Selidor, Hur-at-Hur usw.
„Ich verabscheue die hormonellen Kriegsorgien unserer visuellen Medien.“ (Ursula K. Le Guin)

Schatten gibt es, die die Welt der Lebenden ins Totenreich ziehen wollen; und den Sohn eines Schmieds, der in der Zauberschule auf Rokh von Deuter, Wandler, Finder und Windwart unterrichtet wird, um es zu verhindern.
Es gibt Frauen, die sich nicht wie verkleidete Männer aufführen. Sondern wie – Frauen. Es gibt Drogenabhängigkeit, Verrat, Altwerden, Tod. Warum sollten jüngere Leser davon nichts wissen (wollen)?
Es gibt Drachen: wild, zerstörerisch, rätselhaft, aber nicht unbegreiflich. Menschlich halt.
Und niemand auf Erdsee hat weiße Haut.  Die Helden sind rot, kupfern, braun, manche schwarz. Diskret wurde es anfangs notiert, denn weiße Amerikaner hätten in den 1960ern niemals zu einem Buch mit dunkelhäutigen Helden gegriffen.

Über einen Zeitraum von 31 Jahren erschienen die Abenteuer in den USA
 Le Guin (Bild unten) hätte schon früher aufgehört ... „aber wenn ein Drache kommt und sagt: ,Arw sobriost‘,  stellst du keine Fragen.“ Du setzt sich zwischen seine Flügel, und er fliegt mit dir ins Ziel.

Ursula K. Le Guin:
„Erdsee“
Illustrierte
Gesamtausgabe. Illustriert von Charles Vess. Übersetzt von
Karen Nölle, Hans-Ulrich Möhring, Sara Riffel.
Verlag Fischer TOR. 1118 Seiten. 59,70 Euro.

KURIER-Wertung: *****

 

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