„Das erste, was man tut, ist zu versuchen, das zu entfernen“, sagt die Restauratorin eines großen heimischen Museums – wegen Sicherheitsbedenken darf sie nur anonym und ohne Nennung der Institution sprechen – zum KURIER. In Museen sind oft „Notfallkoffer“ in Nähe der wertvollsten Stücke versteckt, sodass Erste Hilfe geleistet werden kann. Schon das Wegwischen könne jedoch feinste Abreibungen auf einem Objekt verursachen, sagt die Restauratorin: „Auch wenn man es nicht mit freiem Auge sieht, gibt es eine unwiederbringliche Veränderung.“
Was dann passiert, hängt sehr stark von der Beschaffenheit des jeweiligen Kunstobjekts ab. Es gebe keine langfristigen Studien, die etwa die Wirkung von Tomatensoße auf Ölgemälde untersuchen. Bis ins 19. Jahrhundert wurde auf Gemälden eine transparente Schutzschicht, der Firnis, aufgetragen: Er soll die Leuchtkraft der Farben erhalten, zugleich aber auch die Oberfläche schützen.
Dieser Firnis wird mit der Zeit brüchig, und die jeweilige Substanz dringt in das Objekt ein: Das kann je nach Untergrund – Holz, Leinwand, Kupfer – zu Schimmelbildung oder zu Aufquellungen führen, durch die dann wieder die Farbe absplittert.
Genau vorhersehbar sind solche Prozesse kaum, sagt die Restauratorin: „Man kann den Schaden unsichtbar machen, aber er ist trotzdem da.“
Man muss den aufmerksamkeitssuchenden Aktivistengruppen zugestehen, dass sie bisher stets Werke für ihre Attacken wählten, bei denen eine Verglasung das Schlimmste verhinderte. Dass dies allerdings nicht Schadenfreiheit garantiert, schilderte die Restauratorin des Potsdamer Barberini-Museums zuletzt der Süddeutschen Zeitung. Dort war Claude Monets „Heuschober“ – das mit einem Auktionspreis von 110 Millionen US-Dollar teuerste Werk des Impressionisten – mit Erdäpfelpüree begossen worden. Laut der Restauratorin verhinderte nur eine Filzleiste, die als Puffer zwischen Glas und Bild geklemmt worden war, dass die Soße zum Werk vordrang – ein Detail, von dem die Aktivisten keine Ahnung haben konnten. Generell sei eine Verglasung für die Erhaltung hilfreich, findet die vom KURIER befragte Restauratorin – auch ohne Suppe und Torte würde der touristische Museumsbetrieb von heute die Werke viel stärkeren Belastungen aussetzen als in früheren Zeiten.
Doch oft beeinträchtigt so eine Glasschicht das Kunsterlebnis: Das gilt besonders für moderne und zeitgenössische Bilder, bei denen die Oberflächentextur eine wichtige Rolle spielt – und bei der, anders als bei Altmeisterwerken, meist keine schützende Firnis-Schicht vorhanden ist.
Die Idee, dass es folgenlos sei, sich „nur“ an einem Bilderrahmen anzukleben, zeuge auch von „gewisser Naivität“, befindet die Restauratorin: Gerade original erhaltene Rahmungen seien wertvolle Antiquitäten, bei manchen Bildern machen sie bis zu einem Drittel des Werts aus. Die Sensibilität des Materials gegenüber Abrieb und Substanzen sei enorm hoch.
Verunsicherung durch die Attacken ist bereits spürbar – etwa im Barberini-Museum, wo verschärfte Taschenkontrollen an der Tagesordnung sind. Die Kosten für die erforderlichen Zusatzmaßnahmen seien für viele Museen „wohl kaum stemmbar“, Leihgeber könnten ihre Werke zurückfordern, hieß es vonseiten des deutschen Restauratorenverbands. Dabei zeigt die Restauratorin im KURIER-Gespräch grundsätzlich Verständnis für die Proteste: „Ich verstehe, dass die Leute rebellieren, weil einfach zu wenig passiert“, sagt sie. „Auf diese Art ist es trotzdem kontraproduktiv.“
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