Er wollte doch nur den Schraubenzieher holen!

Owen Sheers
"I Saw a Man": Cleverer Roman von Owen Sheers über eine Freundschaft unter Nachbarn

Der Titel "I Saw A Man" kommt vom berühmten Gedicht des Amerikaners Hughes Mearns, in dem jemand gesehen wird, der gar nicht da ist und der auch morgen nicht da ist, obwohl man ihn auch morgen wieder sieht, und es wäre so wünschenswert, wenn er endlich verschwindet ...

Davon lebt der Roman eine Zeit lang; und gut lebt er. Er ist unangenehm (im besten Sinne). Ungemütlich. Beunruhigend bis zum Schluss.

Clever hat der Brite Owen Sheers die Spannung aufgebaut. Nur darum geht es.

Wegen der Naturbeschreibungen oder der einen Sexszene wird man "I Saw A Man" eher nicht kaufen:

" ... Arsch, Rücken und Hüften ahmten den Umriss eines Cellos nach, als sie den Oberkörper hochstemmte und den Hintern gegen seine Lenden stieß."

Es wäre ein übler Streich, an dieser Stelle viel zu verraten. Der Roman um Schuld und Leid würde sich in nichts auflösen.

Der Drohnenkrieg der Amerikaner spielt überraschend eine Rolle, samt Bombe, die Major Daniel McCullen irrtümlich von Las Vegas aus in Pakistan abwirft, der Bankencrash von 2007 ist zu spüren– trotzdem handelt es sich "nur" um eine Familiengeschichte.

Um eine Londoner Nachbarschaftsgeschichte aus dem reichen Teil Hampstead.

Die Tür ist offen

Michael, ein junger Witwer, braucht seinen winzigen Schraubenzieher zurück. Er hat ihn den Nachbarn, der Familie Nelson, geborgt. Mit Josh Nelson ist Michael seit Monaten befreundet.

Die hintere Haustür der Nelsons ist einen Spalt offen, langsam geht Michael hinein. Er ruft. Nichts. Er zieht die Schuhe aus, auf denen Gartenerde pickt. Es ist kurz nach 15 Uhr. Samantha ist zu ihrer Schwester gefahren. Das weiß Michael. Aber ihr Mann, Josh, und die zwei Kinder müssten da sein. Michael denkt an Einbrecher. Er geht langsam von der Küche ins Vorzimmer, ins Wohnzimmer, die Stufen hinauf, er spürt etwas, Wärme spürt er, ist das ein Geist? Von wem ist das der Geist?, und dann sieht er jemanden ...

Danach wird gelogen, und mehrere Leben sind plötzlich verpfuscht.

Beim Lesen wird man vermutlich überlegen, was man selbst an Michaels Stelle getan hätte. Das ist jetzt aber sehr gemein, so kryptisch zu bleiben.

Dagegen gibt es ein Mittel.

Genau.

Owen Sheers:
„I Saw a Man“
Übersetzt von Thomas Mohr.
DVA.
304 Seiten.
20,60 Euro.

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