Enfant terrible der russischen Literatur: "Editschka" Limonow ist tot

Vielfältig talentiert und mit einer Affinität für "heilige Monster" wie Slobodan Milosevic

Mit Eduard Limonow ist am Dienstag eine Schlüsselfigur der russischen Literatur im 78. Lebensjahr verstorben: Als junger Dichter nähte er für Freunde Hosen, sein 1976 in der Emigration verfasster Roman "Ich bin's, Editschka" sorgte für nachhaltige Furore. Nach der Rückkehr nach Moskau betätigte sich Limonow vor allem als radikaler Politprovokateur, überzeugte aber auch mit autobiografischer Prosa.

"Editschka war der wunderbare Star des Moskauer Undergrounds", erinnerte sich am Dienstag die Literaturwissenschafterin Wiktorija Motschalowa an die späten Sechziger- und frühen Siebzigerjahre. Eduard "Editschka" Sawtschenko, sein späteres Pseudonym Limonow verdankte er dem Konzeptkünstler Wagritsch Bachtschanjan, habe tolle Gedichte in Moskauer Künstlerwohnungen gelesen und seine auf Schreibmaschine vervielfältigten Lyrikbändchen verkauft. Gleichzeitig habe er aber auch hervorragend Hosen genäht und damit ehrlich Geld verdient, schrieb Motschalowa auf Facebook.

Seine Bekanntheit und ein Ruf als antisowjetischer junger Wilder brachten dem 1943 im russischen Dserschinsk geborenen und im ostukrainischen Charkiw (Charkow) aufgewachsenen Literaten aber auch Probleme mit dem Staat ein. Nach eigenen Angaben sei er schließlich vor die Wahl gestellt worden - entweder als geheimer Informant für den KGB tätig zu sein oder zu emigrieren. Limonow zog letzteres vor - 1974 wanderte er zunächst in die USA aus, 1980 übersiedelte er nach Frankreich.

In seiner US-amerikanischen Periode entstand mit einem autobiografischen Roman auch ein Schlüsselwerk der russischen Literatur des späten 20. Jahrhunderts: "Ich bin's, Editschka" erzählt in derber Sprache vom prekären Leben und den Sexualkontakten eines sowjetischen Emigranten in New York. Das Buch, das in deutscher Übersetzung den Titel "Fuck off, Amerika" trägt, ist gleichzeitig aber auch eine Abrechnung mit dem liberalen Westen.

Nachdem er sich in den USA und stärker noch in Frankreich linksradikal engagierte, kombinierte er nach seiner Rückkehr nach Moskau Anfang der Neunzigerjahre klassenkämpferische Slogans mit russischem Nationalismus. Eine zunächst von ihm angestrebte Zusammenarbeit mit dem "Ultranationalisten" Wladimir Schirinowski scheiterte - Limonow rechnete kurze Zeit später in einem Buch wortgewaltig wie unterhaltsam mit dem Politiker ab.

Gemeinsam mit dem Rechtsaußenideologen Aleksandr Dugin und dem Punkmusiker Jegor Letow gründete er in Folge die National-Bolschewistische Partei, die 2007 als extremistische Organisation verboten werden sollte. Der Literat selbst gab den Führer der Bewegung und eiferte sichtlich dem italienischen Dichter, Freischärlerführer und Faschismusvordenker Gabriele D'Annunzio nach. 2001 wurde Limonow wegen Terrorismusvorwürfen verhaftet - die Rede war auch von einem geplanten militärischen Abenteuer, mit dem er und seine Anhänger eine russische Autonomie im Norden von Kasachstan herbeiführen hätten wollen.

In Russland selbst demonstrierte Limonow und seine nach dem Verbot der National-Bolschewisten gegründete Bewegung "Anderes Russland" insbesondere auch gegen Wladimir Putin, teilweise sogar gemeinsam mit liberalen politischen Gruppierungen. 2011 kam es schließlich zum Ende jeglicher Kooperation - der Literat warf der liberalen Opposition damals vor, den Protest verraten zu haben.

2014 engagierte er sich schließlich im Krieg in der Ostukraine, wo seine Anhänger sich als Freischärler auch an Kampfhandlungen gegen das ukrainische Militär beteiligen. Mit der russischen Annexion der ukrainischen Halbinsel Krim hatte Präsident Wladimir Putin zuvor eine Vision des Schriftstellers umgesetzt: Limonow hatte dies immer wieder verlangt und war dafür auch mit Einreiseverbot in der Ukraine belegt worden.

Der Schriftsteller blieb aber auch am Balkan in bleibender Erinnerung: 1992 besuchte er mit dem bosnischen Serbenführer Radovan Karadzic die Frontlinie außerhalb von Sarajevo und feuerte Maschinengewehrsalven auf die belagerte Stadt. Damals empfing ihn auch der serbische Präsident Slobodan Milosevic in Belgrad. Im Buch "Heilige Monster", eine seiner zahllosen Veröffentlichungen von autobiografischer Prosa, fand Limonow später lobende Worte für Milosevic' Kampf gegen die "Weltherrschaft des Westen".

Politisch wurde um es um ihn indes zuletzt ruhiger. Wenige Tage vor seinem Tod nach langer, schwerer Krankheit machte er mit Kritik an seinem angeblich großen Fan Sachar Prilepin noch einmal von sich reden. Der Schriftsteller Prilepin, dessen von Regisseur Kirill Serebrennikow auch für die Bühne adaptierter Erfolgsroman "Sankya" sichtlich von National-Bolschewisten handelt, habe seiner Bewegung nie finanziell geholfen, klagte er auf Facebook.

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