"Elser war einer wie heute Snowden"

Verhörszene aus dem Film „Elser“ (ab Freitag im Kino). Die Gestapo will nicht an die Einzeltäterschaft Elsers (Christian Friedel) glauben
"Untergang"-Regisseur Oliver Hirschbiegel über den gescheiterten Hitler-Attentäter Georg Elser.

Ab dem 8. November 1939 hätte die Weltgeschichte einen anderen Lauf nehmen können. Eine gewaltige, mit Zeitzünder ausgestattete Bombe brachte den Münchner Bürgerbräukeller zum Einsturz. Doch Hitler und seine NS-Führungselite hatten den Saal früher als geplant, dreizehn Minuten vor der Detonation, verlassen.

Georg Elser hieß der Mann, der den Anschlag minutiös geplant hatte. Im Alleingang. Klaus-Maria Brandauer war es, der Elsers Tat 1989 mit seinem Kinofilm einem breiteren Publikum bekannt machte. Nun erzählt Oliver Hirschbiegel, Regisseur des 2004 viel diskutierten NS-Abgesangs "Der Untergang", Elsers Weg aus einer neuen Perspektive.

KURIER: An einer Stelle des Films sagt Georg Elser: "Gewalt hat noch nie was gebracht." Wie kam es bei ihm später zu einem Meinungsumschwung?

Oliver Hirschbiegel: Dieser Mann war Zeit seines Lebens Pazifist. Nur hat Elser das Attentat als einzige und letzte Möglichkeit gesehen, diesen Wahnsinn zu stoppen. Alle anderen waren entweder mundtot gemacht worden, haben aus Angst geschwiegen oder das Land verlassen. Und so absurd das klingt: Da gab es also diesen einen Schreiner aus dem Schwabenland, der die Eier hatte zu sagen: Dann mach ich das eben selbst, und zwar alleine. Das ist bemerkenswert.

Dennoch stellt sich immer die Frage nach der Rechtfertigung des Tyrannenmords.

"Elser war einer wie heute Snowden"
epa04676415 German director Oliver Hirschbiegel arrives for the premiere of 'Elser' in Muncih, Germany, 23 March 2015. The film is about the life of Georg Elser, a German resistance fighter who to assassin Adolf Hitler in 1939. EPA/TOBIAS HASE
Das ist die ewige Frage. Ein Mensch, der tötet, kann grundsätzlich kein Held sein. Wir wissen, dass Elser große Gewissenskonflikte hatte. Er ist aber nicht davon ausgegangen, "Unschuldige" zu töten (insgesamt kamen sieben Hitler-Getreue und eine Kellnerin ums Leben, Anm.). Es war damals schon klar, was diese Bewegung im Schilde führte. Elser hat weitergedacht. Er hat quasi den Zweiten Weltkrieg vorausgesehen. Insofern ist die Tat absolut gerechtfertigt.

Warum entschloss sich Elser schon so früh zum Attentat? Wie hat er erkannt, wohin die Naziherrschaft führen würde?

Da muss ich kurz esoterisch werden. Ich glaube, er hatte bedingt hellseherische Fähigkeiten. Und zum anderen war das ein Freigeist, ein Abenteurer. Heute würde man wohl sagen, eine Art Hippie. Der hat nicht verstanden, wieso es überhaupt Grenzen gibt, wieso manche Leute anderen vorschreiben wollen, wie sie zu leben und zu denken haben. Das ging gegen seine innere Natur. Er hat das nicht ertragen.

Elser wurde aber lange Zeit als Eigenbrötler gesehen, auch der Brandauer-Film geht in diese Richtung. Wodurch hat sich das Elserbild geändert?

Wir wissen heute einfach mehr, aus Aussagen von Zeitzeugen. Es gibt etwa einen Neffen, der seit Jahrzehnten dafür kämpft, dass Elser endlich anerkannt wird. Das sind natürlich Informationen, die Klaus-Maria damals nicht hatte.

Warum dauerte es so lange, bis er in die allgemeine Gedenkkultur eingegangen ist – im Gegensatz zu Stauffenberg und den Verschwörern des 20. Juli 1944?

Dass ein kleiner Schreiner aus dem Schwabenländle, dazu nicht einmal Abiturient, einer der wenigen war, die etwas getan haben, ist natürlich ein Schandfleck. Ein einfacher Arbeiter hat auch keine Lobby. Aristokraten haben, als Mitglied der Eliten, leichter Zugriff auf die Medien. Gleiches gilt für Akademiker wie etwa die Geschwister Scholl. Aber selbst Stauffenberg haftete bis in die Achtziger der Ruf an, Verräter zu sein. Die Idee, dass Fahnenflucht und Befehlsverweigerung nicht gestattet sind, scheint tief verankert zu sein in der deutschen Seele.

Sie schildern die Folterszenen sehr eindringlich und genau.

Man hat als Regisseur natürlich eine Verpflichtung. Ich kann nicht eine nachweislich verschärfte Gestapo-Vernehmung zeigen und das verharmlosen. Schon gar nicht in einer Zeit, wo ernsthaft darüber gesprochen wird, dass unter gewissen Voraussetzungen Folter legitim sein könnte, und wo das in einem demokratischen System wie jenem der USA über Jahre angewendet wurde. Das ist für mich ein absolutes No-Go.

Im Gegensatz zu Brandauers Film, der den direkten Weg zur Tat beschreibt, zeigen Sie das Davor und das Danach.

Und: Wer ist der Mensch dahinter? Ich finde ihn sehr heutig. Würde man diesem Typen heute begegnen, wäre er wahrscheinlich einer wie Edward Snowden. Er wäre wahrscheinlich globalisierungskritisch, vielleicht auch Grün-Wähler, wenn überhaupt. (lacht) Das hat mich fasziniert.

Glauben Sie also, dass diese Figur auch Jugendlichen viel sagen kann?

Bei Schulvorstellungen war es interessant zu beobachten, wie vierzehnjährige Kids mit dem connecten. Die verstehen das. Die finden das klasse, wie er alles hinterfragt, wie er dann auch etwas unternimmt.

Sie zeigen auch das dörfliche Umfeld Elsers, wie die Leute von Beginn an bei den Nazi-Umtrieben mitgemacht haben.

Das ist eben dieses große Rätsel. Ich habe ja nicht erfunden, dass Gefangene mit geschorenen Köpfen durch die Dörfer getrieben wurden. Die Konzentrationslager waren auch kein Geheimnis. Es herrschte ein Stillschweigen. Und gleichzeitig haben die Nazis das ländliche Leben komplett vereinnahmt und instrumentalisiert. Wenn du auf die Solidarität verzichten musst, bist du in der ländlichen Gemeinschaft am Arsch. Landleben bedeutet: Jeder hilft Jedem. Und wenn dann plötzlich alle unter der Hakenkreuzflagge die Arme recken und du reckst den Arm nicht, bist du Außenseiter. Damit gräbst du dir quasi dein eigenes Grab. Ich wollte aber auch das Schöne zeigen, die Poesie der ländlichen Gemeinschaft. Das haben wir in Deutschland ja stark kultiviert, da kommen wir eigentlich her, so wie ihr Österreicher, das ist auch eine stark ländliche Kultur.

Es kommt zwei Mal das Lied „Kein schöner‘ Land“ vor und eine gewisse Sehnsucht nach einer offenbar heilen Welt …

Das ist natürlich für immer verdorben. Bei euch in Österreich nicht, und das hab ich nie verstanden. Bei euch hat das eine gewisse Authentizität, daher kommen wir Deutsche zu euch, um in den Bergen Urlaub zu machen.

Bei "Der Untergang" wurde Ihnen vorgeworfen, der Film wäre zu sehr am Charisma Hitlers interessiert gewesen …

Was ich nicht verstehe. Denn worum geht’s bei Hitler? Um Charisma natürlich. Es muss ja eine Erklärung dafür geben, warum man diesem Wicht gefolgt ist.

War es bei "Elser" Ihr Anliegen, nun bewusst eine andere Seite des NS-Regimes zu zeigen?

Ja. Es ist wie ein Prolog zu "Der Untergang". Eigentlich wollte ich nicht mehr zurück zum Thema Nationalsozialismus. Ich fand aber: Komischerweise war das noch nicht erzählt, wie das am Land so langsam hineinkriecht, wie das immer mehr das gesellschaftliche Leben übernimmt. Das "Dritte Reich" wird offenbar immer erst ab 1941 interessant, wenn es so richtig kracht. Vielleicht mache ich noch einen dritten Teil, vielleicht über die Opfer. Mein Gefühl sagt mir: Da ist noch etwas.

Adolf Hitler ist kurz am Rednerpult zu sehen, man versteht kaum ein Wort. Auch am Attentat bleibt "Elser" nicht lange haften. Der Film zeigt den lebenslustigen Menschen Elser (brillant: Christian Friedel), der nicht damit leben wollte, dass vom Erntedankfest bis zum Privaten alles unter dem Zeichen des Hakenkreuzes steht. Hirschbiegel gelingt es, ohne übertriebene Spannungselemente und mit Quellentreue, das Thema leise und doch zwingend zu erzählen.

INFO: "Elser – er hätte die Welt verändert". Filmbiografie. D 2015. 110 Min. Von Oliver Hirschbiegel. Mit: Christian Friedel, Katharina Schüttler, Burghart Klaußner

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