Elina Garanča: „Es gab Momente, in denen ich frustriert war“

Elina Garanča: „Es gab Momente, in denen ich frustriert war“
Im neuen Buch beschreibt die Lettin, wie schwer der Umstieg zum dramatischen Mezzosopran war. Plus: Erste "Zukunftsstimme" gefunden.

Das schaffen nicht viele: Sie ist zwar erst 42 – legt aber bereits eine aktualisierte Version ihrer Autobiografie Zwischen den Welten vor. „Keine Angst, das wird jetzt nicht alle fünf Jahre passieren“, sagt Elina Garanča lachend.

Doch im Künstlerleben der Lettin hat sich einiges getan – allen voran der Fachwechsel vom lyrischen zum dramatischen Mezzosopran.

Im Interview erzählt der Opernstar, welche Traumpartien er in den kommenden Jahren angehen will.

KURIER: Frau Garanča, Sie vollziehen gerade einen Fachwechsel. Müssen Sie dem Publikum eine neue Garanča bieten, damit Sie sich Ihren Traum, 30 Jahre auf der Bühne zu stehen, erfüllen können?

Elina Garanča: Man muss Realistin sein, nach der zehnten Carmen-Produktion ist nicht nur mir langweilig, sondern auch dem Publikum. Es sind einzelne, die auserwählt sind, das ganze stimmliche Repertoire ausschöpfen zu können. Ich habe das Glück, dass ich mir alle Träume, die ich hatte, erfüllen konnte. Alles was jetzt noch kommt, sehe ich als Bonus.

Die ersten Rollendebüts haben Sie bereits hinter sich gebracht. Wie schaut Ihre Zwischenbilanz als dramatischer Mezzosopran aus?

Ich versuche, meinen eigenen Weg zu gehen. Ich will keine Kopie auf der Bühne sein. Mein Ziel ist es, diese Frauen aus ihren Klischees, mit denen diese ikonischen Partien seit Jahrzehnten behaftet sind, zu befreien. Ich will diese Mega-Partien vielleicht von einer neuen emotionalen noch unentdeckten Seite zeigen. Meine Stimme kann ich nun biegen, wie ich sie brauche. Aber gerade die Charakterisierung macht für mich den Reiz aus.

Wie lange haben Sie stimmlich an diesem Umstieg gearbeitet?

Vor dieser Entwicklungsstufe ist viel Stimmgymnastik notwendig – ich musste eine neue technische Kapazität aufbauen, ohne meiner Stimme zu schaden. Das war ein Balanceakt. Denn auf der einen Seite galt es, meine Höhen in der Stimme zu bewahren. Auf der anderen Seite mussten wir mit aller Vorsicht versuchen, die Tiefe zu öffnen und zu erweitern. Das schafft man nur mit viel Körperenergie, die man teilweise anders zu kanalisieren lernt. Aber es gab Momente, wo ich frustriert war. Ich dachte mir: Ich singe seit fünfzehn Jahren an allen großen Opernhäusern und jetzt schaffe ich es nicht einmal, eine Übung nach den Vorstellungen meines Stimmtrainers zu singen? Trotz der Verzweiflung spürte ich, dass hier eine neue Freiheit auf mich zukommt.

Sie bezeichnen die Rolle der Amneris in „Aida“ als Ihren künstlerischen Mount Everest. Warum schieben Sie diesen Höhepunkt so lange hinaus?

Die Amneris ist meine absolute Traumpartie. Wie unglaublich schwer diese Partei ist, zeigt die Tatsache, dass die großartige Agnes Baltsa die Amneris zwar vielfach für Tonaufnahmen gesungen hat, aber nie in dieser Rolle auf der Bühne stand. Aber viel mehr beschäftigt mich eine andere Frage: Was kommt danach, wenn man den Mount Everest bestiegen hat? Ich weiß nicht, wie man sich danach fühlt. Taucht eine Leere auf, mit der ich vielleicht nicht zurechtkomme? Es ist ein komisches Gefühl, dem ich mich noch nicht stellen will. Dieses bewusste Wegschieben ist fast ein emotioneller Schutz.

Der neue Operndirektor Bogdan Roščić hat Ihnen für 2021 das Rollendebüt in Richard Wagners „Parsifal“ angeboten. Wo liegt der Unterschied zwischen Kundry und Amneris?

Kundry ist eine sehr komplizierte Rolle – und Wagner ist für mich der Olymp. Waren „Heilige“ und „Hure“ in Wagners „Tannhäuser“ noch säuberlich in Elisabeth und Venus geschieden, so wurde der Fall im Parsifal komplizierter: Kundry trägt beides in sich. Sie ist ein Zwitterwesen. Der Reiz ist für mich, ob ich alles erfüllen kann, was sich ein Hardcore-Wagner- Fan erwartet. Aber das Leitmotiv Leid, Erlösung und Frieden ist noch ein Rätsel für mich.

In Ihrem neuen Buch thematisieren Sie die schwierige Beziehung zwischen Künstler und Fans. Ist Ihnen der Ruhm zu anstrengend geworden?

Manchesmal ermüdet mich die Aufmerksamkeit. Vor allem wird von uns verlangt, dass wir unsere Fangemeinde täglich mit zahlreichen Postings versorgen. Ich muss gestehen: Dafür habe ich kein Talent. Ich habe kein Gespür dafür, was eine gute Story für Instagram wäre. Ich frage mich auch, warum sollte es jemanden interessieren, was ich gerade esse oder trinke?

Erste "Zukunftsstimme" gefunden

Es war ein absolutes Herzensanliegen von Elina Garanča und ihrem Ehemann, dem Dirigenten Karel Mark Chichon, junge Sängerinnen und Sänger nachhaltig zu fördern. Aus diesem Grund wurde der Gesangswettbewerb „Zukunftsstimmen“ ins Leben gerufen, dessen erster Gewinner nun feststeht. Der erst 22-jährige österreichische Bassbariton Alexander Grassauer konnte das finale Vorsingen in der Staatsoper für sich entscheiden.

Elina Garanča: „Es gab Momente, in denen ich frustriert war“

Somit wird Alexander Grassauer am 3. Juli 2019 an der Seite von Elina Garanča und unter dem Dirigat Karel Mark Chichons bei „Klassik unter Sternen“ in Göttweig singen und am 6. Juli bei „Klassik in den Alpen“ in Kitzbühel. Dazu erhält Alexander Grassauer auch ein attraktives Preisgeld vom Projektpartner Raiffeisen.

80 junge Damen und Herren hatten sich bei „Zukunftsstimmen“ beworben; 24 kamen ins Finale. Die dreiköpfige Jury, bestehend aus Garanca, Chichon und Künstleragent Erich Seitter, reihte Bariton Raffael Fingerlos auf den zweiten Platz. Platz drei teilen sich die Mezzosopranistin Franziska Elkins und der Bariton Christoph Filler.

Elina Garanca in der Wiener Staatsoper

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