Eine Drehung genügt, schon hat man Pech

Die Amerikanerin Jami Attenberg
Jami Attenberg und "Saint Mazie": Bekanntschaft mit einer New Yorker Heiligen

"Ich bin nichts Besseres."

Das ist einer der Sätze, für die man Mazie Phillips gern haben muss. Hört man ja nicht so oft. Das Gegenteil hört man öfter.

Mazie war in New York eine Berühmtheit. Eine blondierte, lebenslustige Kinobesitzerin im südlichen Manhattan, Lower East Side, die an die Obdachlosen, die Arbeitslosen, an die hungernden Mütter und Kinder Geld verteilte. Und Milch, Brot, Seife. Um Kranke kümmerte sie sich, und jeden ließ sie aus ihrem Flachmann trinken, auch während der Prohibition. Sie hatte ja selbst oft und gern einen "sitzen" ...

Während der Großen Depression öffnete sie ihr Kino, damit sich die Leute hier wärmen und ausschlafen konnten. Von den Filmen bekamen sie wenig mit.

Keine Biografie

Zwei Jahre machte das Kino in der Wirtschaftskrise Verluste. Aber Mazie verkaufte lieber ihren Schmuck, als die Belegschaft zu kündigen.

Auch als Unternehmerin muss man sie gern haben, und als sie 1964 starb, gab es nicht wenige, die laut sagten: So ein Mensch hätte ewig leben müssen.

Mazie Phillips war in den 1920er, 1920er, 1940 er Jahren eine Löwin, die Königin, eine untypische Heilige – "Saint Mazie" eben ... im Wissen, dass im Leben eine blöde Drehung genügt, und dann hat man kein Glück mehr.

Tut gut, sie kennenzulernen. Auch wenn es in einem Roman geschieht, der nicht ihre Biografie ist, sondern sich nur von der Frau inspirieren ließ, die tagsüber im Kassenhäuschen des "Venice Theatre" saß und von dort aus New York beobachtete.

US-Schriftstellerin Jami Attenberg legte "Saint Mazie" in Form eines Tagebuchs an. Die Zehnjährige macht Notizen, die 17-Jährige, die 40-Jährige ... Man sieht die Straßen und fängt an, wie Mazie im Schmutz das Schöne zu sehen.

"Das ist kein Geschmeiß", wird sie einmal zitiert. "Meine Leute sind echte menschliche Wesen." Und waren sie auch fast überall ein Niemand: Mazie kannte alle Stadtstreicher beim Namen. Sie bewahrte die Erinnerung auf.

Zwischen den Tagebuch-Eintragungen tut Jami Attenberg so, als würden Mazies Nachbarn, Liebschaften, Verwandte interviewt werden.

Das lebt, das ist unmittelbar, und der Eindruck wird erweckt, hier liege etwas Unveröffentlichtes vor, das noch leicht bearbeitet gehört.

Attenberg hätte wahrscheinlich gern Mazies Memoiren gelesen. Die gibt’s nicht, also hat sie ’s selbst geschrieben. Eine wunderbare Idee in kalter Zeit.


Jami Attenberg:
„Saint Mazie
Übersetzt von Barbara Christ.
Schöffling Verlag. 384 Seiten. 24,70 Euro.

KURIER-Wertung:**** und ein halber Stern

Kommentare