"Eine Direttissima in die Niederlage"

Das Motto von Rudolf Scholten: „Mehr Geld für Kunst“
Rudolf Scholten über die Ausrichtung der Wiener Festwochen und die kulturelle Teilhabe.

Die Wiener Festwochen befinden sich im Wandel: Vor einem Jahr übernahm Markus Hinterhäuser von Luc Bondy, der das Festival 15 Jahre lang geprägt hat, die Intendanz. Und bereits 2017 folgt Tomas Zierhofer-Kin, gegenwärtig Leiter des Donaufestivals in Krems.

SPÖ-Kulturstadtrat Andreas Mailath-Pokorny meinte unlängst im KURIER-Interview, dass er sich für Zierhofer-Kin entschieden habe, weil er gerne das Publikum des Donaufestivals hätte: "Es geht mir darum, die Festwochen, die unter Luc Bondy – ohne das kritisieren zu wollen – sehr stark von Hochglanzproduktionen geprägt waren, zu einem noch stärkeren Experiment- und Laborcharakter und von den etablierten Spielstätten hinaus in die Stadt zu bringen."

Trägt Rudolf Scholten, der Präsident der Festwochen, den Wunsch nach Veränderung mit? Und wie beurteilt er die Situation der Bundestheater? Scholten war schließlich Ende der 1980er Generalsekretär des Bundestheaterverbandes und dann, bis 1997, Kunstminister.

KURIER: Teilen Sie die Ansicht von Mailath-Pokorny?

Rudolf Scholten: Die Festwochen haben grundsätzlich zwei Aufgaben: über Tendenzen in der darstellenden Kunst zu informieren und zu produzieren. Aber wir wollen zudem vom Einkaufsprestigefestival hin zu etwas, das der Stadt gerechter wird. Die Festwochen haben in Wien ein fantastisches Renommee – auch bei den Menschen, die das Festival wenig bis gar nicht besuchen. Das ist ein Kapital, mit dem man sehr vorsichtig umgehen muss. Das heißt auch, dass wir näher an die Menschen heranrücken müssen. Das passiert nicht von heute auf morgen. Die Schiene "Into the city" hat unter Luc Bondy begonnen, das Programm von Markus Hinterhäuser ist ein weiterer wichtiger Schritt in die Richtung. Das ist ein Kontinuum.

Muss man nicht eher die Kunstvermittlung intensivieren?

Generell verharrt die Kunst in den traditionellen Formen – und setzt dann den magischen Begriff "Kunstvermittlung" ein. Die Kunstvermittlung produziert aber bei allem Bemühen weniger Ergebnisse als versprochen. Als einzige Alternative dazu sieht die Kunst nur die Aufgabe von Qualitätsansprüchen. Also: Entweder macht die Kunst weiter wie bisher und versucht, mit viel Aufwand zu vermitteln – oder sie passt sich denjenigen an, die sie nicht selbstverständlich erreichen können. Aber das "Hinunternivellieren" kann nicht die Ultimo Ratio sein! Ein urbanes Festival wie die Wiener Festwochen hat sich mit diesem Problem auseinandersetzen.

Also einerseits Hochkultur – und andererseits niederschwellige Produktionen?

Ich glaube, es ist für das Festwochenpublikum ein unglaublicher Wert, dass man jedes Jahr im Frühsommer alle wichtigen Tendenzen des Theaters wahrnehmen kann. Das gibt es in dieser Dichte in keiner anderen europäischen Stadt. Das aufzugeben wäre dumm und falsch. Das ändert aber nichts am Ziel, mehr und auch andere Menschen erreichen zu wollen. Ich finde, dass die Kunst da zu wenig ehrgeizig ist. "Niederschwelligkeit" ist allerdings nicht die Lösung. Das klingt wie "Gehhilfe" oder "Langsam reden, damit es alle verstehen".

Ist es nicht die Aufgabe der Kulturpolitik, den Menschen Werkzeuge in die Hand zu geben, um Kunst verstehen zu können?

Die Frage, ob ein erweiterter Anspruch eine Aufgabe der Künstler oder der Politik ist, also dieses Entweder-oder, ist eine Direttissima in die Niederlage. Es ist eine Aufgabe von allen – von den Künstlern bis zu den Organisatoren: Einen ernsthaften und ehrlich gemeinten Versuch zu unternehmen, an Menschen heranzukommen, die wir normalerweise nicht erreichen. Aber nicht durch großzügige Handreichungen, sondern durch die selbstverständliche Konfrontation mit Kunst.

Vor Ihrer Zeit als Kunstminister waren Sie Bundestheatergeneral. Was sagen Sie zum Finanzfiasko bei den Staatstheatern?

Ich habe die Funktion damals von Robert Jungbluth übernommen, der, bei allen Verdiensten, wirklich kein Sparmeister war. Ich hatte es daher einfach: Ich habe von Jahr zu Jahr weniger Geld gebraucht. Doch das ist lange her. Und damals gab es die Kameralistik (eine Form der staatlichen Buchführung, Anm.). Der Zug der Zeit ging in Richtung Autonomie, Bilanzierung und Vergleichbarkeit zu privatwirtschaftlichen Einrichtungen. Etwas, das man transparenter haben wollte als in der Kameralistik, wurde durch die neuen gesellschaftsrechtlichen Konstruktionen im Endeffekt undurchsichtiger und komplizierter. Früher war die Freiheit des künstlerischen Leiters einschränkbar durch die Politik. Heute haben diese Funktion die Controller, Wirtschaftsprüfer und Aufsichtsräte übernommen – ohne durchschlagend höheren Erfolg. Doch die Zeit lässt sich nicht zurückdrehen.

Sie meinen also, dass die Verantwortlichen die Situation nicht mehr durchblickt haben?

Diese komplizierten Konstruktionen schaffen Raum für fantasievolle Bilanzierung. Wenn ich ein Auto, das nach zehn Jahren verschrottet wurde, über 20 Jahre abschreibe, geht das einige Zeit gut. Irgendwann aber wird das blöde Auswirkungen haben. Spätestens dann, wenn keine Autos mehr, sondern nur noch Abschreibungen vorhanden sind. Ich will nicht als Kameralistik-Fan dastehen, aber ich finde, dass man durch neue Konstruktionen nicht Unübersichtlichkeit herstellen sollte. Das ist aber passiert.

Die Intransparenz wurde Georg Springer, Chef der Bundestheaterholding bis zum Sommer 2014, zum Verhängnis?

Er folgte mir nach, ich kenne ihn sehr gut. Abschreibungstricks sind sicher nicht seine Spezialität.

Man wandte sie in der Burg an, um über die Runden zu kommen. Ist die Subvention zu gering?

Valorisierungen aus dem Eigenen zu refinanzieren: Das geht naturgemäß nicht endlos. Es gibt aber eine zu Recht bestehende Debatte, ob in der Kunst immer alles zu den großen Institutionen fließen soll – oder ob wir nicht stärker berücksichtigen sollten, dass wir eine außerordentliche Zahl kleinerer Einrichtungen, freier Gruppen und unabhängigeren Initiativen haben, die zusammen enorm wertvoll sind. Österreich wird um diese breite Basis sehr beneidet. Bei der Finanzierung eine Balance herzustellen zwischen den großen Institutionen und der ungeschützten Basis: Das ist das eigentliche Kunststück.

Gelingt das Kunststück noch?

Wenn Sie einen Seiltänzer fragen, ob er sich noch in Balance befindet, wird er abstürzen. Ich werde mich daher hüten, dazu Stellung zu nehmen. Eines muss man aber verstehen: Kleinere Einrichtungen lösen viel weniger Aufschrei aus, wenn ihnen etwas passiert. Da muss die Politik feine Ohren haben.

In Wien wird das Mainstream-Musical hoch subventioniert. Ist da die Balance nicht schon längst verloren gegangen?

Sie werden sich meine Antwort ausrechnen können. Die Kunst macht einen großen Fehler: Sie lässt sich immer sofort auf die Debatte ein, wem man innerhalb der Kunst etwas wegnehmen könnte. Die Landwirtschaft führt uns vor, was man tun muss, wenn man Erfolg haben will: Dass man sich nicht auseinanderdividieren lassen darf. Die Getreidebauern kritisieren nie die Zuwendungen für die Milchbauern. Daher ist mein Motto: Mehr Geld für Kunst – und nicht weniger Geld für andere Kunst.

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