Ein roter Teppich für Bartoli

Eine Frau und ein Mann sitzen auf Stühlen vor einem brennenden Stuhl.
Bellinis „Norma“ wurde bei den Pfingstfestspielen in Salzburg zum Triumph.

An dieser Produktion ist alles anders als gewohnt. Die Norma ist keine Sopranistin, die Adalgisa kein Mezzo. Die Geschichte spielt nicht in Gallien im Druiden-Milieu. Das Orchester ist eines, das auf das Barockfach spezialisiert ist, weshalb die feinen Nuancen im Vordergrund stehen und nicht die dramatischen Attacken. Und die Fassung ist überhaupt eine völlig neue, nein alte, weil auf Vincenzo Bellinis ursprünglichen Intentionen basierend.

Alles also gegen die tradierten Hörgewohnheiten, aus Sicht der vergangenen Jahrzehnte sogar falsch – unterm Strich aber goldrichtig, überzeugend und wie die Wieder- oder Neuentdeckung eines Klassikers. Cecilia Bartoli, die exzellente Sängerin, kluge Forscherin und erfolgreiche Leiterin der Salzburger Pfingstfestspiele, hat mit dieser Produktion einen Coup gelandet. Endlich sieht und hört man ein Werk, dessen Libretto ( Felice Romani) so jenseitig ist, dass die meisten Opernhäuser eine szenische Aufführung scheuen, glaubhaft und reduziert auf die Essenz.

Bilder von "Norma" in Salzburg

Eine wütende Frau bedroht einen gefesselten Mann mit einem Messer.

Vincenzo Bellini NORMA Inszenierung Moshe Leiser…
Eine Frau in einem gepunkteten Kleid steht mit ausgestreckten Armen vor einer Gruppe von Menschen.

Vincenzo Bellini NORMA Inszenierung Moshe Leiser…
Eine Frau sitzt auf einem Stuhl und hält ein Baby, während zwei andere Frauen im Hintergrund stehen.

Vincenzo Bellini NORMA Inszenierung Moshe Leiser…
Eine Frau im Kleid hält ein Messer in der Hand.

Vincenzo Bellini NORMA Inszenierung Moshe Leiser…
Zwei Frauen umarmen sich, eine hält ein Baby im Arm.

Vincenzo Bellini NORMA Inszenierung Moshe Leiser…
Eine Frau und ein Mann sitzen auf Stühlen vor einem brennenden Stuhl.

Vincenzo Bellini NORMA Inszenierung Moshe Leiser…

Moshe Leiser und Patrice Caurier, die beiden Regisseure, scheren sich nicht um Tempel und Höhlen, die Schauplätze im Original, nicht um gallische Krieger und römische Besetzer. Sie siedeln die Handlung Anfang der 1940er-Jahre an, zur Zeit von Mussolini oder der Resistance. Das Bühnenbild (Christian Fenouillat) stellt bei der Ouvertüre eine Schule dar, in der Norma Pollione zum ersten Mal sieht und dann nur eine Wohnung bzw. ein Zimmer, was völlig ausreicht.

Man sieht zwar Unterdrückung und Brutalität. Im Fokus steht aber das Liebes- und Eifersuchtsdrama im Beziehungsdreieck zwischen der Seherin Norma, dem Prokonsul Pollione, mit dem sie zwei Kinder hat, und der Priesterin Adalgisa. Der alte Schinken wird zum modernen Kammerspiel, das von Bartoli als liebender, rasender, am Ende sich selbst opfernder Protagonistin dominiert wird. Sie spielt mit beeindruckender Intensität. Sie singt, vor allem im zweiten Teil, berückend schön – auch wenn sie sich um Formalismen gar nicht zu kümmern scheint. Sie wird eins mit ihrer Rolle, die Koloraturen, die Ausbrüche, die Demut in der „Casta Diva“-Arie, wirken wie selbstverständlich.

Die Inszenierung ist wie ein roter Teppich, der ihr ausgelegt wird, auf dem sie sich entfalten kann. Und das Publikum feiert sie am Ende auf eben diesem auch wie eine Diva, wie eine „Divina“.

Die anderen Stimmen passen ebenso in dieses Konzept. Jene von Rebeca Olvera als Adalgisa: ein zarter, leichtgewichtiger Sopran, der an Bartolis Kraft und Ausdruck nicht im geringsten heranreicht. Jene von John Osborn als Pollione: ein zu Beginn etwas angestrengt tönender, dann aber überzeugender Tenor mit fabelhafter Höhe. Jene von Michele Pertusi als Oroveso: ein Bass mit noblem, warmem Timbre.

Dirigent Giovanni Antonini legt mit dem Orchestra La Scintilla der Bartoli den perfekten Klangteppich zu Füßen. Die musikalische Gestaltung ist sensibel, delikat, ausbalanciert, in den Piano-Stellen exzellent, die Protagonisten nie zum Forcieren zwingend. Manches gerät jedoch etwas kraftlos, nicht alles ganz präzise. Für Bartoli war es die erste szenische „Norma“ (konzertant hatte sie die Partie schon gesungen). Es wäre nicht verwunderlich, wenn sie damit noch lange Maßstäbe setzt.

KURIER-Wertung: ***** von *****

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