Ein Kunstuniversum in Pink: Der Exzentriker und Galerist Nick Treadwell
An Englishman in Vienna. So ziemlich alles in seinem Leben ist rosafarbig. Exzentrik kann man dem agilen 84-jährigen Briten mit dem konsequent auffallenden Kleidungsstil wahrlich nicht absprechen.
Nicholas Treadwell hat sich als Galerist und Sammler ein Kunstuniversum in Pink geschaffen und beteuert, damit nur Freundlichkeit signalisieren zu wollen: „Seit ich Pink im Alltag benutze, sehe ich nur noch lächelnde Gesichter.“
Projekt Cselley Mühle
Beim KURIER-Besuch in der Galerie, zugleich sein buntes Zuhause, in Wien ist er gerade wieder am Sprung von der Großen Neugasse , wo der bunte Vogel in einer ehemaligen Paraffinkerzenmanufaktur lebt, ins burgenländische Oslip, um in der Cselley Mühle Quartier zu beziehen.
Dieser Kultur- und Veranstaltungsraum hat mit der Mario Müller Privatstiftung seit Anfang 2022 einen neuen Eigentümer und ist noch Baustelle. Veranstaltungs- und Gastronomiebereich werden renoviert, technisch modernisiert und ausgebaut. Aber am Anwesen sollen in einem ersten Schritt im Herbst Konzerte stattfinden – bis zur für 2023 geplanten Eröffnung als Zentrum mit Schwerpunkt Kunst, Kultur und Kulinarik.
Ein schräger Typ
Viele der von Treadwell ins Burgenland gebrachten Objekte entstanden bereits in den 1990er-Jahren sind – Stichwort Klimawandel – erschreckend aktuell.
Wie Treadwell selbst, eine auffällige Persönlichkeit, die polarisiert, ist auch seine Kunst in ihrer auffallenden und mitunter schockierenden Bildsprache nichts für konservative Geschmäcker: Skulpturen dicklicher Frauen, halbnackte Männer mit Bierbäuchen und viele skurrile Gemälde.
Mit ihnen möchte er „Emotionen hervorrufen“. Der charmante Provokateur, dem man lange „bad taste“ vorgeworfen hat, und der von einer Unterscheidung zwischen gutem und schlechtem Geschmack absolut nichts hält, kann mit seiner 700-Werke-Sammlung wunder- samer Dinge an Pop und sonstiger Art mühelos starre Weltbilder durcheinanderwirbeln.
John Holmes, im Brotberuf Fleischhauer, malte nach Feierabend Bilder über „Jack the Ripper“. Auch die Bild gewordene Farbexplosion „Zombie Virus Outbreak“ von Alan Streets, einem schizophrenen New Yorker Straßenkünstler, kam in die Sammlung, neben Skulpturen u. a. von Graham Ibbeson, Robert Knight, Mandy Havers, Malcolm Poynter, Saskia de Boer, Kevin Harrison, Michele Howarth, Dean Barrett und Matt Ensor. Oder Bildern von Liz Atkin, Alun Jury, Bob Robinson, Jeramy Turner, Sara Rossberg, Mike Gorman, Duncan Mosley ...
Und nach welchem Kriterium sucht der Sammler seine Werke aus? „Man nimmt ein menschliches Thema, übertreibt es, und stößt damit die Menschen vor den Kopf.“
Er habe eine Vorliebe für das Dramatische und zeige Kunst, die niemanden kalt lässt, „die sich mit dem Leben beschäftigt“, so Treadwell. Darstellungen von Menschen und Menschlichem. Da könne man die Sexualität natürlich nicht ausschließen. Die von ihm ins Spotlight gestellte Kunst schreit, ist überbordend und schrill – und faszinierend. Das Kunstwort „Superhumanismus“ umschreibt sein Programm, mehr Eigenmarke als Stilbezeichnung, eine von ihm ins Leben gerufene Bewegung, die als „Kunst über Menschen, die das Leben einer städtischen Gesellschaft leben“ definiert ist.
Gegen Standesdünkel
Alles begann vor einer Ewigkeit als mobile Galerie. Mit Doppeldeckerbus und Möbelwagen tingelte Treadwell durch England. In den frühen Sixties eine Sensation – und ein gutes Geschäft, als „normale Leute dachten, Kunst sei nur etwas für Reiche. Wir brachten die Kunst zu den Menschen.“
Mit seiner ersten richtigen Galerie, 1965 in London eröffnet, wollte er sich von der etablierten Kunstszene mit Snob-Appeal unterscheiden, unterstützte aufstrebende Künstler der Working Class, die mit ihren provokanten Kreationen die Upper Class aufs Korn nahmen. Später machte er in Londons West End, einer Spinnerei in Bradford, einem riesigen Herrenhaus in Canterbury und schließlich einige Jahre im oberösterreichischen Aigen Station. Dort gestaltete er ein ehemaliges Bezirksgericht samt Gefängnis zu Galerie und Wohnort um.
Jahrgang 1937, eröffnete 1965 in London seine erste fixe Galerie. 1999 zog er nach Aigen-Schlägl ins Mühlviertel, im April 2016 nach Wien. Er tourte mit dem Trio The Tiger Lillies, steht für „Superhumanismus“, eine Kunstrichtung „von, für und über die Menschen“ und sammelt seit 60 Jahren Kunst. Info: superhumanism.eu
„Kiss My Art“
Nick Treadwell hat in seinen 84 Jahren viel erlebt, gegen die versuchte Ausgrenzung seiner Galerie durch das Kunst-Establishment gekämpft und seine Geschichte im Buch „Kiss My Art“ (2013) geschildert
Teil-Eröffnung
In der Cselley Mühle sind im Herbst Live- Acts angekündigt: Gaby Moreno (25. 10.), Harri Stojka (12. 11. ), Maschek (25. 11.) und Irish Christmas (17. 12.) Infos: cselley-muehle.at
Vulgäre Kunst – na und?
Treadwell hatte schon in einer Zeit, in der abstrakte Bilder und Landschaften inflationär waren, keine Scheu vor der figurativen und einer roheren, vulgären Kunst.
Die Ehrlichkeit am Vulgären schätzt Nick, der sich genauso sehr als Entertainer versteht wie als Galerist und es liebt, Menschen zum Lachen zu bringen: „Ehrlich gesagt, wir haben doch alle vulgäre Aspekte in dem, was wir tun oder worüber wir lachen.“
Auf Kunstmessen ist er ein Außenseiter und alsbald verbannt, obwohl sich seine Exponate gut verkaufen: „Menschen wollen zugängliche verständliche Kunst sehen. Um meine Sammlung zu verstehen, muss man nicht Kunst studiert haben.“ Bei ihm kaufen sogar Prinz Charles, Paul McCartney, Bill Wyman von den Rolling Stones und der 2002 verstorbene Bassist der Rock-Band The Who John „The Ox“ Entwistle, dem Nick nachsagt: „Ein ausgesprochen netter Zeitgenosse.“
Geld wäre noch nie ein Thema für ihn gewesen, sagt Nick: „Die meiste Zeit meines Lebens war ich in irgendeiner Art von Finanzkrise. Nur muss man ohne Geld intensiver nach kreativen Wegen suchen, um Ziele zu erreichen. Ich kenne viele Leute mit viel Geld, aber sie sind selten glücklicher als ich.“
Für die Zukunft hat er vorgesorgt und irgendwann einen Sarg in Pink anfertigen lassen.
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