Ein Haus mit 20.000 Büchern
Ein Fest für den Geist, der aus den Büchern kommt.
Ein Fest für die Großeltern, auch für Rose, beste Freundin der Großmutter – "ihr Atem roch nach scharfem Käse. Es war ein fürchterlicher Geruch – und ich liebte ihn."
Der Amerikaner Sasha Abramsky lädt ins Haus am Londoner Hillway 5.
Etwas außerhalb der Zeit wohnten hier Chimen Abramsky (1916–2010) und seine Frau Miriam.
Marx diskutieren
Die Teppiche waren von Motten zerfressen, das Dach hatte Löcher, im Kleiderschrank war kein Platz fürs Gewand ... aber was kümmert das jemanden, in dem das Wissen brodelt wie Lava?
Es war "Das Haus der zwanzigtausend Bücher" und wahrscheinlich auch der 20.000 Gäste, die im Laufe von fünf Jahrzehnten mit Chimen diskutierten.
... und sich von Miriam (die "so nebenbei" zwei Kinder großzog und als psychologische Sozialarbeiterin berufstätig war) mit Fischlaberln und koscheren Mini-Hot-Dogs bewirten ließen.
Mit Enkelsohn Sasha Abramsky geht man von Zimmer zu Zimmer, zweireihig in den Regalen stehen sozialistische Bücher und Judaica.
Von der Spinoza-Erstausgabe geht’s zur Bomberg-Bibel aus Venedig, 1521. Dazwischen liegt Karl Marx’ Mitgliedsausweis der Ersten Internationale. Überall weht frischer Wind für gute Gespräche.
Das leidenschaftliche und informative biografische Buch ist ein Denkmal, so wie Edmund de Waals Roman "Der Hase mit den Bernsteinaugen" ein Denkmal ist für das verlorene Palais Ephrussi.
Mit dem Unterschied, dass in Abramskys Familiengeschichte ein Schatten auf die Hauptfigur fällt.
Chimen Abramsky war Buchhändler, Historiker, für Sotheby’s begutachtete er Bibliotheken.
Ein Gelehrter, der in seiner Jugend ein Narr war: Geboren in Minsk, war er Stalinist, der Verständnis dafür hatte, dass sein Vater, Rabbi Yehezkel, zu Zwangsarbeit in Sibirien verurteilt wurde.
Unter dem Pseudonym "C. Allen" schrieb er einen Nachruf auf Stalin und bedankte sich ... für den Terror? Diesen C. Allen möchte Sasha am Hals packen und schlagen, aber "er ist spurlos verschwunden".
Und es entstand der Großvater, ein Humanist, so herzlich. Für das Vergangene schämte er sich sehr.
"Das Haus der zwanzigtausend Bücher" ist auch Abgesang auf große Privatbibliotheken, die Schutz sind vor dem Chaos draußen – und Erklärung, warum man selbst für Chaos sorgt.
Sasha Abramsky: „Das Haus der zwanzigtausend Bücher“
Übersetzt von Bernd Rullkötter.
dtv. 408 Seiten. 23,60 Euro.
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