Edmund de Waal: Der mit Keramik komponiert

De Waal hat ein Faible für fernöstliche Weisheit: "Mit Eile kommst du nirgendwohin"
"Lichtzwang" – für den Künstler und Bestsellerautor Edmund de Waal "Poesie und Musik".

Die filigranen Objekte in den zwei Vitrinen hinter Glas an der Rückenwand im Theseustempel im Wiener Volksgarten sind das krasse Gegenteil von einem auftrumpfenden Eyecatcher.

Edmund de Waal ist seit seinem Buch "Der Hase mit den Bernsteinaugen" (Zsolnay Verlag) über die Geschichte seiner jüdischen Bankiersfamilie bis zum Anschluss an Nazi-Deutschland im März 1938 und des Palais Ephrussi am Wiener Schottenring bekannt als Bestseller-Autor.

Möglichst unauffällig

Und als britischer Keramikkünstler ist er ein Anhänger des Weniger-ist-mehr. So hat er sich für den Theseustempel "etwas möglichst Unauffälliges" einfallen lassen, das zunächst kaum bemerkt wird.

Und er hätte es überhaupt am liebsten, würden seine Kreationen irgendwann als Nichts im Nirgendwo verschwinden: "Das wäre mein Traum. Auch wenn das in der Kunstwelt nicht besonders clever ist. Auch wenn das für einen Künstler sehr merkwürdig klingen mag, der doch sonst will, dass die Leute seine Arbeiten sehen. "

De Waal wollte "etwas, das sich langsam offenbart und kein Sofortbild". Und die kleinen, in verschiedenen Weißtönen glasierten Porzellangefäße, die für de Waal "in vielen, vielen Farben erscheinen", verdienen durchaus einen zweiten und dritten Blick. Einige haben am Rand oder an der Basis einen hauchdünnen Silberrand.

Weiß ist nicht Weiß

Denn Weiß als einzelne Farbe gibt es gar nicht im Spektrum. Weiß gibt es nur in allen denkbaren Schattierungen und unzähligen Nuancen von Blassgrau bis Creme.

Je nach Tageszeit und Lichteinstrahlung vom Dachfenster changieren die matten Farben. Und wenn die Nachmittagssonne um 17 Uhr den Raum illuminiert, sind von den Ausstellungsstücken mit Blick von der Eingangstüre tatsächlich nur mehr die Silberränder sichtbar.

Die Installation mit dem von einem Paul-Celan-Gedicht entlehnten Titel " Lichtzwang" (bis 5. 10.) ist für de Waal eine wunderbare Mischung aus "Musik, Poesie, Rhythmus und Licht".

Vor allem Musik habe ihn dabei beeinflusst: Barock, Bach, Alban Berg, Steve Reich und Philip Glass ...

Edmund de Waal: Der mit Keramik komponiert
Edmund de Waal

Jedes Gefäß hat seine eigene Textur. Dabei geht es dem Künstler, der mit Keramik komponiert, weniger um das einzelne Objekt als um das Arrangement. Die spezifische Anordnung in Gruppen auf den Regalbrettern – ähnlich Noten oder Wörtern – provozieren beim Betrachter einen Rhythmus. De Waal: "Sie sind wie Wörter auf eine Seite gesetzt. Sie gleichen Menschen, die durch ein Gebäude gehen und haben etwas vom flüchtigen Eindruck einer musikalischen Phrase."

De Waal, Jahrgang 1964, hat nach seinem Studium in Cambridge das Töpferhandwerk in England und Japan erlernt und wird – mittlerweile von der weltweit größten Galerie, der New Yorker Gagosian Gallery, vertreten – in bedeutenden internationalen Ausstellungen präsentiert. Eine erste Monografie wird in wenigen Tagen im New Yorker Metropolitan Museum präsentiert.

Hierzulande außer als Autor noch kaum bekannt, stellt das Kunsthistorische Museum (KHM) zunächst im kleinen Rahmen der Reihe "Modern & Contemporary" den Künstler de Waal vor. Und der ist begeistert und kann noch gar nicht glauben, dass das jetzt in der Stadt seiner Vorfahren möglich geworden ist: "I feel great. Really great."

"During the Night" 2016

De Waal wird die nächste Schau der Reihe "Artist's Choice" kuratieren: Für "During the Night" im Jahr 2016 durchforstet er derzeit die Schätze des Museums, um seine ganz persönliche Auswahl zu treffen.

Der Theseustempel sei in seiner Leere und Nüchternheit einerseits für ihn eine Herausforderung, andererseits "ein wunderbarer Ort, an dem Menschen, die im Park ihren Hund spazieren führen, Tai-Chi machen oder Eis essen, Kunst begegnen können. Bei freiem Eintritt. Und niemand zwingt sie dazu."

Das aufwendige Wandgemälde des Schotten Richard Wright aus Silber im Tempelraum haben 2013 120.000 Menschen gesehen. Und Kurator Jasper Sharp sieht für die Zukunft noch Fantasie nach oben.

De Waal macht inzwischen weiter, was er seit mehr als 40 Jahren macht – in der Hoffnung, besser zu werden beim Kreieren filigraner Gegenstände. Schließlich sagte ihm einst ein Lehrer: "Die ersten 30.000 Töpfe, die du machst, sind die schlechtesten." Er empfand’s als "ungeheuer befreiend und motivierend. Denn das heißt: Mit Eile kommst du nirgendwohin."

www.khm.atwww.edmunddewaal.com

Edmund de Waal: Der mit Keramik komponiert
Edmund de Waal: Der mit Keramik komponiert

Der Keramikkünstler Edmund de Waal hat 264 Netsuke geerbt. Auf der Suche nach der Herkunft der kleinen japanischen Schnitzereien entdeckte der Brite die Geschichte seiner Familie, der Ephrussis. Sein Buch "Der Hase mit den Bernsteinaugen" wurde 2011 ein Bestseller.

"Sehr komplex" sind seine Gefühle gegenüber Wien, die für ihn "eine Stadt der verlorenen Geschichten" ist: "Meine Familie stammt aus Wien. Meine Großmutter, mein Großonkel, meine Urgroßeltern waren durch und durch wienerisch. Das war die Stadt, die sie liebten. Hier sind sie aufgewachsen, hier haben sie studiert, hier hatten sie Liebesbeziehungen. Aber aus Wien hat man sie verstoßen. Das ergibt einen Konflikt."

Zuletzt sind die Erinnerungen seiner Großmutter Elisabeth de Waal "Donnerstags bei Kanakis" erschienen. Sie war die älteste Tochter von Victor von Ephrussi und der Baronesse Emmy Schey von Koromla, hatte Jus, Ökonomie und Philosophie studiert, lebte in Paris, der Schweiz und in England.

Und auch Edmund de Waal schreibt wieder an einem Buch: "Über eine Reise durch die lange Geschichte des Porzellans. Eine Reise durch Tausend Jahre. Vor allem aber erzähle ich die Geschichte der Farbe Weiß ..."

Edmund de Waal: Der mit Keramik komponiert
BUCH

Elisabeth de Waal: „Donnerstags bei Kanakis“ Übersetzt von Brigitte Hilzensauer. Zsolnay Verlag. 336 Seiten. 20,50 Euro.KURIER-Wertung:

Edmund de Waal: Der mit Keramik komponiert
BUCH

Edmund de Waal: „Der Hase mit den Bernsteinaugen“. Übersetzt von Brigitte Hilzensauer. Zsolnay Verlag. 352 Seiten. 20,50 Euro.KURIER-Wertung:

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