Doch was die Ausstellung anschaulich vorführt, ist Dürers Mobilität quer durch geografische und kulturelle Sphären. Sie versorgte das Werk des Nürnbergers stetig mitneuen Impulsen und machte ihn zum Modell eines neuen Künstlertypus: Dürer (1471 – 1528) erscheint in der Schau als Scharnier zwischen Handwerk und Kunst, zwischen Meisterschaft und Bildung.
Einer Goldschmiedefamilie entstammend und zunächst beim Vater handwerklich ausgebildet, ging Dürer drei Jahre in die Malerlehre und danach auf Wanderschaft. Dass er gleich vier Jahre lang wegblieb, war ungewöhnlich. Auch seine Italienreisen – Dürer fuhr erstmals 1494/’95 in den Süden, elf Jahre später noch einmal – waren für Künstler in jener Zeit noch nicht typisch, wie Co-Kuratorin Julia Zaunbauer erklärt.
Wie die auf Reisen gesammelten Eindrücke Dürers Kunst lebendig machten und über die mittelalterlichen Traditionen hinauswachsen ließen, lässt sich in der Schau schön verfolgen – etwa anhand von Ansichten Innsbrucks, aber auch an Kopien von Kunstwerken wie Andrea Mantegnas „Bacchanal“ .
Dürer suchte in mehrfacher Weise Anschluss: Als Betreiber einer Werkstatt für luxuriöse Kunstdrucke, als der er sich primär verstand, galt es zum einen, Kunden zu gewinnen. Zum anderen suchte er den Draht zu den Bildungseliten seiner Zeit, die in Nürnberg ein einflussreiches Netzwerk bildeten.
In diesem Spannungsfeld platziert Albertina-Kurator Christof Metzger die berühmten zeichnerischen Meisterwerke Dürers: Die „betenden Hände“, der „Blaurackenflügel“ und das „Große Rasenstück“ seien wohl Teil von Dürers Werkstatt-Fundus gewesen, für bloßes Arbeitsmaterial aber viel zu kunstvoll ausgeführt: Vielmehr dienten die Studien dazu, das Talent des Künstlers zu demonstrieren, es waren Aushängeschilder.
Dürers Meisterschaft erschöpfte sich dabei keineswegs nur in der getreuen Wiedergabe. Wie Metzger belegt, spielt der berühmte „Feldhase“ wohl auf die Geschichte des Malers Polygnot an: Dieser soll im 5. Jahrhundert v. Chr. einen Hasen so täuschend echt gemalt haben, dass ihn jeder für lebendig hielt. Die Bezeichnung „Polygnots Hase“ war im 16. Jahrhundert ein geläufiges Kürzel für die Lebensnähe der Kunst, und Dürers Hase – der nicht in einer Wiese sitzt, sondern auf dem Papier lebendig wird – dürfte dies illustrieren.
All jenen, die mehr als 500 Jahre später noch immer den Spruch „Kunst kommt von Können“ auf den Lippen tragen, hält Metzger entgegen, dass Kunst eben auch vom Kennen kommt: Erst die Anbindung an den Markt der Ideen, der literarischen Überlieferungen und Bildungsinhalte enthob das schön gemachte Ding der Sphäre des Kunsthandwerks. Dürer steht für dieses Künstlerideal wie sonst vielleicht nur Leonardo da Vinci, mit dem er sich im Übrigen auch verglich.
Allerdings wetteiferte Dürer hier nicht mit Tier- oder Menschenbildern, sondern mit einer Serie komplizierter Knoten-Ornamente. Er kopierte diese, weil er die Vorlagen fälschlich für Werke Leonardos hielt. Die dekorativen Blätter sind ein weiteres unvermutetes Detail dieser an Entdeckungen reichen Schau: Sie zeigen, dass Dürer bei aller Gelehrsamkeit bis zuletzt auch Goldschmied blieb.
Hintergrund: Albrecht und Omega
Zeichnungen aus dem Nachlass von Albrecht Dürer (1471 – 1528), die an den Kaufmann Willibald Imhoff und später an Kaiser Rudolf II. gelangten, wurden 1796 von Herzog Albert von Sachsen-Teschen im Tausch erworben. Sie gehören somit zum „Erbgut“ der Albertina. Direktor Klaus Albrecht Schröder zeigte eine Dürer-Schau zur Wiedereröffnung des Hauses 2003 und wollte ursprünglich seine Wirkungszeit mit der nunmehr gezeigten Schau beenden. Er wurde aber für eine weitere Fünf-Jahres-Periode zum Leiter des Hauses berufen.
Die Dependance „Albertina Modern“ im adaptierten Künstlerhaus steht nun auf Schröders Agenda ganz oben. Der Eröffnungstag wurde mit 12. März 2020 festgesetzt, die erste Schau „The Beginning“ wird Kunst in Wien von 1945 – 1980 zeigen.
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