Der schwedische Theatermacher Marcus Lindeen – erstmals ist eine Arbeit von ihm in Österreich zu sehen – hat basierend auf Interviews mit drei bemerkenswerten Menschen einen Text entwickelt, der die Idee des „Ich“ als stabile Form von Identität nachdrücklich in Frage stellt.
Da ist etwa Jérôme Hamon (dargestellt von Tom Menanteau), dessen Gesicht aufgrund einer Erbkrankheit mit Geschwüren bedeckt war und dem deshalb als erstem Menschen das vollständige Gesicht eines Toten verpflanzt wurde. Nach einigen Jahren stieß sein Körper das Gesicht ab und er musste erneut auf eine Verpflanzung warten – sechs Wochen lang, ohne Gesicht, den Kopf einbandagiert, ohne hören, sehen oder sprechen zu können.
Dann ist da die Gehirnforscherin Jill Bolte Taylor (Isabelle Girard), die nach einem Schlaganfall aufgrund massiver Schäden in der linken Gehirnhälfte keinen Bezug mehr zu der Person herstellen kann, die sie einmal war.
Und dann ist noch die intersexuelle Künstlerin Sarah Pucill (Franky Gogo), die in ihrer Arbeit Leben und Werk der ebenfalls nicht binären Fotografin Claude Cahun nachstellt und dabei „Verbindung aufnimmt“.
Die drei Darsteller erzählen aus dem Leben ihrer Figuren und interviewen sich gegenseitig, sie tun das sehr ruhig und bedächtig. Das ergibt nicht unbedingt ein Theaterstück, aber doch ein hoch spannendes Feature.
Von Guido Tartarotti
„Éléphant“: Eine Gratwanderung zwischen Kunst und Folklore
Der Elefant als Symbol für etwas Archaisches, das zu verschwinden droht, ist Titelgeber für Bouchra Ouizgens Performance. Was wie die Ankündigung für ein Kunstprojekt gegen das Artensterben klingt, verdichtet die international gefragte, marokkanische Tänzerin und Choreografin zu einer 50-minütigen Tanz-Performance. Den Sound dazu liefert Musik aus ihrer Heimat.
Mit lauten Gesängen begleiten sich die Darstellerinnen selbst. Zu Beginn wischen zwei Frauen den Boden, als würden sie ihn für das Kommende vorbereiten. Mit etwas Fantasie könnte man das so deuten: Die Gegenwart weicht den Geistern der Vergangenheit. So ist es dann auch. Eine Art Derwisch tritt auf, vollführt seine Tänze und wird von einer kleinen Gruppe von Frauen ersetzt. Gekleidet wie für eine Wanderung durch die Wüste, erheben sie ihre Stimmen zum intensiven Gesang, eine lässt ihre Tücher zum Tanz wallen, eine andere breitet einen Teppich auf.
Dem meditativen Sog des Geschehens entkommt man nicht, aber das Gezeigte kommt über eine Gratwanderung zwischen Folklore und künstlerischen Momenten nicht hinaus. Höflicher Applaus.
Von Susanne Zobl
„Close Encounters“: Was Teenager heute denken – in 30 Minuten
Das Ansinnen der italienischen Regisseurin Anna Rispoli mutet auf den ersten Blick sehr lobenswert an. Sie zeichnete für ihr Projekt „Close Encounters“ Gespräche mit Jugendlichen auf und verarbeitete diese zu einem einzigen – 50 Stunden Material komprimierte sie so auf einen 30-minütigen Dialog. Der soll von einem der Erfinder, also einem Jugendlichen, und einem Gast, nachgesprochen werden.
Man trifft einander in einem geschlossenen Raum im Theater Akzent. Dort wird in verteilten Rollen wiedergegeben, was man via iPod empfängt. Laien werden dabei zu Schauspielern, jedoch ohne Publikum. Ein gewisses kreatives Potenzial ist zu spüren, etwa, wenn eine Welt ohne Menschen, eine Apokalypse imaginiert wird. Das Ziel der Veranstaltung, sich auf die Befindlichkeiten junger Menschen heute einzulassen, wird erreicht, wie die Berichterstatterin aus ihrem Treffen mit Jamal erfahren hat.
Bedauerlich aber, dass danach nichts geschieht. Man wird ins Nichts entlassen. Eine Fortführung, eine Auflösung im Kollektiv auf einer Bühne vor oder in diesem Fall besser mit Publikum wäre kein Nachteil.
Von Susanne Zobl
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