Dracula: Nur die Bibel ist noch populärer

Schriftsteller Bram Stoker ist seit 100 Jahren tot. Sein böser Held hat nichts an Wirkung verloren. Im Gegenteil.

Fein, dass der Ire Bram (Abraham) Stoker seinen Vampirroman letztlich doch im heutigen Rumänien angesiedelt hat. Jetzt gibt’s dort auf der Speisekarte – etwa mitten in Bukarest – "Jonathan Harkers Mixed Grill" (wahrscheinlich die knusprigen Überreste des jungen Anwalts aus dem Roman), und dazu eine rote Flüssigkeit.

Selbstverständlich Blut.

Die Steiermark blieb verschont, weiterhin gibt es dort die Käferbohnen mit einer braunen Flüssigkeit, Kernöl selbstverständlich –, aber es war knapp. Denn die schönen steirischen Geschichten von weiblichen Vampiren haben Stoker fast dazu gebracht, sein erdachtes Schloss in oder bei Graz anzusiedeln.

Gerade noch rechtzeitig, um sich nach Transsylvanien (also Siebenbürgen) zu wenden, erfuhr er von der Existenz Vlad Tepes’, der abwechselnd als "draculea" (kleiner Drachen, weil sein Vater Ritter des Drachenordens war) und "dragulea" (der Geliebte) Dokumente unterschrieben hatte.

Der Name faszinierte Stoker; und dass Vlad, der im 15. Jahrhundert gegen die Türken erfolgreich gekämpft hatte, seine Gegner sehr gern pfählen ließ, das war ebenfalls äußerst animierend – so sind Schriftsteller halt.

Sitzplatznummer

Dracula: Nur die Bibel ist noch populärer

Bram Stoker hat im April seinen 100. Todestag. Wohlhabend war er mit "Dracula" nicht geworden. Bestseller wurde das Buch, das immerhin einen neuen Archetyp in der Literatur schuf, erst später. (Aber dann schaffte es eine Popularität, die angeblich gleich nach der Bibel kommt.)

Stoker hatte als Manager eines kleinen Londoner Theaters gearbeitet und war derjenige, der die Neuerung der nummerierten Sitzplätze einführte.

Die hypnotische Wirkung setzte zehn Jahre nach seinem Tod ein.

Berühmt wurden "Dracula" und er durch die erste Verfilmung "Nosferatu" (1922, von F. W. Murnau). Und weltberühmt, als der Ungar Bela Lugosi – siehe großes Bild – ab 1931 im Kino seine Flatterbewegungen machte (ab 1958 Christopher Lee).

Dieser saugende Fürst der Finsternis wirkt seit 1897 bis heute auf die Welt wie keine andere Erfindung der Literatur. Merken wir bei dieser Gelegenheit gleich vor: Am 14. April hat im TAG (Gumpendorfer Straße, Wien-Mariahilf) "VLAD" Premiere. Eine Heimatposse mit Gesang und Vampir.

Vor allem ist Dracula Vaterfigur für Serien wie "Vampire Diaries" und "Twilight" – wobei ... fragen wir Andreas Nohl, der den Roman neu übersetzt hat:

Was haben denn Stoker und Stephanie Meyer (die "Twilight"-Autorin) gemeinsam?

"Nichts."

 

Pandemie

Nicht nur Nohl hält Bram Stoker zugute, dass er als Trivialschriftsteller große Themen angepackt hat. Westen und Osten. Wissenschaft und Glaube. Fremdenangst. Die Gefahr einer Pandemie ("Dracula" expandiert nach England).

Und Mina, die Frau, der zum Schutz eine Hostie auf die Stirn gepickt wird, ist nicht bloß Opfer. Sondern darf logisch denken und dadurch ihren Beitrag leisten, damit der Vampir enthauptet werden kann.

Vlad, der Pfähler, starb ebenfalls kopflos. Sein Schädel wurde in Honig eingelegt und dem Sultan nach Konstantinopel geschickt. Der realen Welt fallen auch immer so Sachen ein ...

Neue Übersetzung: Wie klingt "fully awake"?

Dracula: Nur die Bibel ist noch populärer

Das ging sich gerade rechtzeitig zum 100. Todestag Bram Stokers aus. Erst im Jahr 2008 wurden seine handschriftlichen Notizen gefunden, und nun erst weiß man endlich, dass z. B. mit "tablet" nichts zum Schlucken gemeint war, sondern eine Schreibtafel.

Zwei (vollständige) Neuübersetzungen erscheinen demnächst. Man könnte monatelang die Klänge vergleichen (anstatt arbeiten zu gehen). Nehmen wir den schlichten Satz, der im Original von 1897 so lautet: "I must have been asleep, for certainly if I had been fully awake I must have noticed the approach of such a remarkable place."

In der seit den 1920er-Jahren gängigen Übersetzung Heinz Widtmanns (bei dtv) heißt das: "Ich muss geschlafen haben, denn wenn ich wach gewesen wäre, müßte es mir doch aufgefallen sein, daß wir uns einem so seltsamen Platze näherten."

Jetzt Andreas Nohl für den Steidl Verlag (seine Übersetzung von "Tom Sawyer & Huckleberry Finn" sorgte 2010 für Freudenschreie):

"Ich musste eingenickt sein, denn in vollständig wachem Zustand wäre mir die Anfahrt zu einem so ungewöhnlichen Ort sicher nicht entgangen."

Und Ulrich Bossier für Reclam: "Ich muss zwischendurch doch eingeschlafen sein, denn wäre ich hellwach gewesen, hätte ich ja wohl wahrgenommen, dass wir uns einem so markanten Gebäude näherten."

Platze, Ort, Gebäude ... übersetzen ist übertragen, ist neu schreiben.

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